Vor Wut kochen
Wut ist ein schwieriges Thema, vor allem die weibliche. Denn eine wütende Frau hat ein deutlich negativeres Image als ein wütender Mann. Wütende Frauen werden gerne abwertend als “hysterische Furien” oder ähnliches bezeichnet. Zeigt ein Mann seine Wut, wird ihm das häufiger als positiv, im Sinne von Willensstärke und Durchsetzungsfähigkeit, ausgelegt.
Was ist Wut und woher kommt sie?
Allgemein definiert ist “Wut eine sehr heftige Emotion, die durch eine als unangenehm empfundene Situation oder Bemerkung, beispielsweise eine Kränkung, ausgelöst worden ist. Sie ist heftiger als Ärger und schwerer zu beherrschen als der Zorn.”
Das Thema Wut ist seit Wochen sehr präsent in meinem Kopf. Das hat einerseits damit zu tun, dass ich gerade das SelbstHilfeProgramm LEICHTER überarbeite. Und in diesem Programm nimmt die (unterdrückte) Wut neben der Scham einen wichtigen Platz ein. Denn diese beiden Emotionen sind es, die – basierend auf einer “Grund-Angst” und einem “Dauer-Schmerz”, (Ess)Probleme nähren.
Laut Wikipedia gibt es diverse wissenschaftliche Studien die bestätigen, dass häufig unterdrückte Wut Krankheiten hervorrufen kann. Und viele Psychologen gehen davon aus, dass unterdrückte Wut eine Ursache von Depressionen, Essstörungen und Alkoholismus ist. Meine Erfahrungen bestätigen das.
Die weibliche Wut
Andererseits habe ich mich in letzter Zeit wieder mehr mit meinem eigenen wütend sein beschäftigt. Als ich noch essgestört war, habe auch ich meine Wut überwiegend an mir selbst ausgelassen.
Die Bulimie ist für mich unter anderem ein gewalttätiger Akt der Selbstzerstörung. Weil weibliche Wut negativer besetzt ist, richten meiner Erfahrung nach viel mehr Frauen als Männer ihre Wut gegen sich selbst.
Was mich in letzter Zeit häufig wütend – weil hilflos – macht ist, diese energiefressende Selbstzerstörung vieler Frauen. All dieses “nett und bequem sein für andere”, dieses “um jeden Preis gemocht und geliebt werden wollen”. Das Unterdrücken der Wut, die dann häufig am eigenen Körper ausagiert wird oder die in diesem Körper wütet.
Es kostet Frauen so viel Zeit und Lebensqualität. Und es führt dazu, dass wir noch immer zu häufig mit anderen Frauen konkurrieren, anstatt zu klüngeln.
Was mich vor Wut kochen lässt
Wenn wir aufhören, unsere Wut an uns selbst auszulassen, können wir auch andere Frauen besser unterstützen. Für mich persönlich gibt es vor allem ein Thema, das mich innerlich vor Wut kochen lässt.
Es ist die Tatsache, dass Deutschland aufgrund seiner liberalen Gesetzte als das “Bordell Europas” bezeichnet wird. In unserem Land “arbeiten” hunderttausende Frauen als Prostituierte. Und fast alle werden dazu gezwungen, werden misshandelt und “arbeiten” unter menschenunwürdigen Bedingungen.
Ich empfinde es als eine ungesunde Mischung aus Naivität und Bequemlichkeit, “Sexarbeit” als einen “normalen” Job zu bezeichnen. 95,2% der Betroffenen von Menschenhandel zwecks sexueller Ausbeutung sind nach Angaben des Bundeskriminalamts weiblich. Diese Zahlen beruhen auf abgeschlossenen Ermittlungsverfahren.
Doch welche Dunkelziffer steht dahinter? Wie viele einzelne Mädchen- und Frauenschicksale? Und warum stehen wir diesen “Schwestern” nicht besser zur Seite? Mehr dazu findest du beispielsweise auf der Website von TERRE DES FEMMES.
Auch wird in unserem Land fast jeden zweiten Tag eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner ermordet. Wo bleibt unser großer Aufschrei? Sind wir vielleicht zu sehr damit beschäftigt, die Klums, Kardashians und Katzenbergers dieser Welt noch reicher und mächtiger zu machen? Weil sie uns zeigen, wie “schön sein” und “gewollt werden” geht?
Was könnten wir gemeinsam erreichen, wenn Schönheit und Begehrtheit nicht mehr so einen hohen Stellenwert hätte?
frage ich mich häufig. Zu viele Frauen glauben noch immer, dass sie beides brauchen um glücklich sein zu können. Doch letztlich hält es sie nur in Abhängigkeiten gefangen. In der Abhängigkeit von ständig wechselnden Schönheitsidealen und von der Sorte Männer, die ihnen nicht guttun.
Die Wut nach Außen richten?
Weil mich das Thema momentan beschäftigt, habe ich kürzlich den Roman “Die Wut, die bleibt” von Mareike Fallwickl gelesen. Du findest ihn hier auf Amazon (Werbung). Wow, was für ein wachrüttelndes Werk, storytelling at its best. Eine der Protagonistinnen ist auf dem besten Weg in die Magersucht und dann beginnt sie, ihre Wut nach Außen zu richten.
Übrigens sind die ursprünglichen Furien drei (Rache)Göttinen aus der griechischen Mythologie, die Strafen für diejenigen verhängen, die sie verdienen…
Daran musste ich beim Lesen dieses Romans denken. Und dann fiel mir eine weitere Roman-Protagonistin ein, die mich seit Jahren fasziniert. Und zwar Lisbeth Salander aus der Millennium-Trilogie von Stieg Larsson. Auch die findest du hier bei Amazon (Werbung). Die Millenium-Trilogie habe ich schon zigfach gelesen, gehört und in der schwedisch-deutschen Verfilmung mit Noomi Rapace in der Hauptrolle, angeschaut.
Und dann ist da ja auch noch “Schuldlos schuldig“, worüber ich kürzlich geschrieben habe.
Ich habe offensichtlich ein Faible für furiose Rachegöttinnen. Die Rache eines Opfers an Tätern verschafft mir in der Theorie ein gewisses Maß an mentaler Befriedigung. Denn auch wenn sie nicht rechtens ist und ich sie im echten Leben niemals befürworten würde, sorgt sie in fiktiven Geschichten zumindest für das Gefühl von Gerechtigkeit, für Ausgleich.
Doch unsere Wut nach Außen zu richten und vom Opfer zur Täterin zu werden kann nicht die Lösung sein.
Wohin mit der Wut?
Für viele MindMates ist es zur Gewohnheit geworden, ihre Wut herunterzuschlucken. Sie gärt in ihnen, bis sie manchmal explodieren. Und das macht ihnen dann Angst und ein schlechtes Gewissen. Denn der Wutausbruch trifft die falsche Person. Oft sind das die Partner, die ich als Mitläufer bezeichne.
Andere MindMates fressen ihre Wut ausschließlich in sich rein. Diese wütet dann in irgendeiner Form im Körper und/oder wird an diesem Körper ausgelassen.
Wütend sein ohne zu verletzen
Wir können lernen, unserem Ärger (verbal) Ausdruck zu verleihen, damit er sich nicht mit der Zeit in große Wut verwandelt. Und wir dürfen anderen Menschen sagen, wenn uns etwas nicht passt, was uns verärgert. Wir dürfen NEIN sagen. Und wir können uns erlebbar machen, dass wir mit der Reaktion anderer auf unsere Grenzen klarkommen.
Zusätzlich können wir beginnen, all die angestaute Wut in uns häppchenweise herauszulassen. Das können wir mithilfe einer (Körper)Therapeutin. Wir können es, indem wir unsere Wut herausschreien, gerne in ein Kissen. Und wir können es, indem wir auf ein Kissen oder einen Boxsack einschlagen. Oder wir tanzen (und singen) zu lauter und schneller Musik.
Auch können wir die Wut aus uns herausschreiben. “Es kotzt mich total an … ” ist ein wunderbarer Anfang für das Schreiben nach meiner Brechwurzel-Methode. Und Anfang des Jahres habe ich bereits über mein “heilsames Schoko-Massaker” berichtet, über den Moment, in dem ich meiner Wut zum ersten Mal bewusst anders begegnet bin.
All diese Dinge haben gemeinsam, dass wir unserer Wut aktiv Ausdruck verleihen, ohne dabei andere oder uns selbst verletzen.
Zugang zur eigenen Wut
Wenn MindMates mir Ereignisse aus ihrem Leben erzählen, frage ich häufig: “Hat dich das nicht wütend gemacht?” oder “Wie bist du mit deiner Wut umgegangen?” Was dann meistens als erstes passiert ist, dass die andere Person entschuldigt oder erklärt und ihr Verhalten relativiert wird.
“Naja, so schlimm war es nicht, sie hatte einen schlechten Tag weil … .” oder “Wahrscheinlich habe ich auch dazu beigetragen und ihn provoziert. Denn ich habe …. gemacht.” sind die typischen Antworten.
Diese MindMates schämen sich und/oder fühlen sich (mit)schuldig und deshalb glauben sie häufig, kein Recht dazu zu haben, wütend zu sein. Doch die Wut ist da und sie muss ausgedrückt werden. Sonst wirkt sie sich zerstörerisch auf unseren Körper und unser ErLeben aus.
Die “Macher-Energie”
Scham führt dazu, dass wir davon laufen und uns verstecken (wollen). Angst lässt uns eher erstarren und handlungsunfähig werden. Wut ist die Energie, die hinter der Bereitschaft zu kämpfen steckt. Wenn wir lernen, gesund mit Wut umzugehen und sie als eine Handlungs-Energie, einen Antrieb nutzen, ohne uns selbst oder andere tatsächlich (körperlich) zu bekämpfen, tut Wut tatsächlich gut. Und ja, dazu braucht es Mut.
Viele MindMates, die ich im Laufe der Jahre kennengelernt habe, sind sehr mutig. Sie haben den Mut, sich ihre eigene Geschichte anzuschauen und sich damit auseinanderzusetzen. Doch wir alle brauchen eine weitere Portion Mut, für einen gesunden und konstruktiven Umgang mit unserer eigenen Wut. Und zwar sowohl in unsererm eigenen Sinne, als auch im Sinne anderen Frauen, anderer Menschen.
Mind your rage.
MindMuse Simone
Auf wen oder was bist du wütend und wie gehst du damit um?
Liebe Simone,
mein Problem ist, dass ich dazu neige, in Tränen auzubrechen, wenn ich wütend bin. Das macht es mir schwer, meine Wut überhaupt in Worte zu fassen. Und wenn ich es doch tue, werde ich nicht richtig ernst genommen. Grade auf der Arbeit ist das sehr schwierig.
Ich kann die Tränen nicht unterdrücken.
Liebe Grüße,
Sarah
Liebe Sarah, wie schön, von dir zu hören!
Ja, ich verstehe sehr gut, dass die Tränen – vor allem auf der Arbeit – eine Herausforderung für dich sind. Aber das Weinen hat auch etwas Gutes. Denn es ist ein natürlicher Bewältigungsmechanismus von Emotionen. Anders gesagt: Durch die Tränen drückst du deine Gefühle aus, ob du willst oder nicht. Und was du ausdrückst, kann nicht mehr so sehr in dir wüten.
Generell neigen einige Menschen mehr als andere zum Weinen. Nicht nur bei Wut, sondern auch bei Freude, Trauer, etc. Und aus (neuro)biologischer Sicht sorgt Weinen dafür, dass wir tiefer atmen und uns dadurch eher beruhigen. Vielleicht kannst du dir bewusster machen, dass Weinen eine deiner (natürlichen) Bewältigungsstrategien ist. Mit dir ist also nichts falsch, du bist auch nicht daran schuld und du kannst diese Strategie nur bedingt beeinflussen. Es geht also auch mal wieder um Akzeptanz. Denn es hilft ja nicht, wenn du vor Wut heulst und danach noch wütender (auf dich oder andere) wirst, weil du heulst.
Und du kannst auch wenig beeinflussen, ob andere dich richtig ernst nehmen. Du kannst dich lediglich selbst ernster nehmen. Vielleicht schreibst du noch mal über frühere Situationen aus deiner Kindheit, in denen du auch dieses Gefühl von “nicht ernst genommen werden” in Verbindung mit Hilflosigkeit – und möglicherweise Wut – hattest. Das könnte dir helfen, dir selbst besser zu helfen, weil du mehr Verständnis für dich hast.
Und/oder du schreibst einen richtig schön kindischen Wut-Brief an eine Person, auf die du sehr wütend bist. Dabei bist du so richtig kleinlich und gemein und nimmst keinerlei Rücksicht. Wenn ich das mache, muss ich meistens irgendwann mitten im Schreibprozess anfangen zu lachen. Daran erkenne ich, dass ich durch das Herauslassen auf das Papier einen großen Teil der negativen Emotion abgebaut habe. Und falls du so einen oder mehrere Briefe schreibst, schickst du ihn/sie natürlich nicht ab, sondern vernichtest ihn/sie feierlich.
Liebe Grüße
Simone @MindMeals