Neues Jahr, alte Themen?

Das neue Jahr ist schon wieder zwei Wochen alt. Wie geht es dir? Ist der Jahreswechsel etwas Besonderes für dich (gewesen)? 

Gab es gute Vorsätze für 2024? Hast du dir Zeit genommen, auf 2023 zurückzuschauen?

Von den guten Vorsätzen habe ich mich schon vor vielen Jahren verabschiedet. Denn warum soll ab diesem einen Tag etwas funktionieren, was vorher nicht funktioniert hat? Oder andersherum: Warum soll ich auf diesen bestimmten Tag warten, um etwas ändern zu können? 

Und dann auch noch im Januar, in der dunklen Jahreszeit, nach den Feiertagen…

Generell geht es um die Herausforderung, Prozessen Zeit zu geben und zu erkennen, dass es die kleinen, realistischen Schritte sind, die langfristig und nachhaltig zu Veränderungen führen können.

Das Einzige, was ich traditionell zum Jahreswechsel mache, ist das Festlegen meines “Motto-Worts“. Und auch das ändere ich im Laufe des Jahres, wenn mir danach ist.

Neues Jahr, neues ich?

Als ich noch essgestört war, nahm ich mir beispielsweise zum Jahreswechsel vor, im kommenden Jahr sowohl mein (unrealistisches) Wunschgewicht zu erreichen als auch die Essstörung loszuwerden. Wundert es dich, dass das nie funktioniert und mich noch mehr frustriert hat?

Ich habe den Silvesterabend 2023 ganz alleine verbracht. Und ich habe etwas getan, was mich an ein Erlebnis vor vielen Jahren erinnert hat.

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Das heilsame Schoko-Massaker

Damals lebte ich noch alleine in meiner Studentenbude. Und ich war gerade dabei zu erkennen, wie sehr die Unterdrückung meiner Gefühle die Essstörung nährte. Ich war wütend und ich nahm bewusst wahr, dass ich wütend war.

Und ich erkannte, dass ich – um diese Wut nicht spüren zu müssen – den Drang hatte, Schokolade in mich reinzustopfen. Auch wusste ich, dass es dabei nicht bleiben würde. Denn Schokolade war verboten. Und verbotene Lebensmittel mussten wieder raus. Musste das Essen wieder raus, konnte ich auch die Gelegenheit nutzen, vorher noch mehr Verbotenes in mich hineinzustopfen. Man nennt das Ganze auch Rückfall. 

An diesem Nachmittag saß ich also an meinem Esstisch und starrte auf die Tafel Schokolade, die ich noch im Haus hatte. Es war eine, mit einzeln verpackten Riegeln. Und dann nahm ich die Riegel aus der Verpackung. Doch anstatt sie in mich hineinzustopfen, ging ich zu meinem Schreibtisch und holte mir einen schwarzen Filzstift. Damit malte ich jedem Riegel ein Gesicht und ich schrieb den Namen der Personen, auf die ich wütend war, auf die Riegel.

Danach holte ich einen kleinen Hammer aus meiner Werkzeugkiste und schlug die Riegel kaputt. Das war eine große Sauerei und ich dachte: „Würde mich jetzt jemand sehen, würde man mich in die Geschlossene einliefern!“ 

Und dann musste ich plötzlich lachen. Die Situation erschien mir so absurd. Doch es hatte funktioniert. Es ging mir besser, der innere Druck und die (selbst)zerstörerischen Gedanken waren geringer geworden. An diesem Tag machte ich die heilsame Erfahrung, dass ich meinen Gefühlen Ausdruck verleihen kann, ohne dass ich dadurch mich selbst oder andere verletzten muss.

Silvester allein zu Haus

Normalerweise verbringen wir Silvester mit Freunden. Doch die letzten Wochen von 2023 war sehr schwierig für unsere Familie. Denn nach monatelangem Hoffen und Bangen mussten wir Anfang Dezember Abschied von einem Familienmitglied nehmen, das viel zu früh gehen musste. 

Ich habe mich also bewusst dazu entschlossen, Silvester alleine zu verbringen. Auch, um der Trauer und der Wut Raum zu geben. Erstmal habe ich ein Feuer im Kamin angezündet und mir einen warmen Kakao mit einem Schuss Rum gemacht. Und dann habe ich einfach nur auf dem Sofa gesessen. Irgendwann kam der Impuls, zu schreiben. Und ich spürte, dass meine Worte weder sonderlich gesittet noch überwiegend positiv werden würden.

Also holte ich mir einige Blätter Schmierpapier und einen Kuli. Und dann wetterte ich verbal los. Ich schimpfte und schmierte, adressierte meine Gedankengrütze an das Jahr 2024 und begann mit den Worten: „Hey 2024, ich erwarte nichts von dir.“ Als drei Blätter vollgeschrieben waren, hatte ich nichts mehr zu sagen. Ich spürte Erleichterung. Dann habe ich die Blätter zerrissen und im Kamin verbrannt.

Zwar hatte sich die Situation nicht verändert, doch ich hatte mir Ausdruck verliehen. Dann las ich mir meinen verbalen Auswurf nochmal laut vor. Und währenddessen passierte genau das, was damals beim Zerschmettern der Schokolade geschah: Ich musste lachen. Denn ich hatte überraschenderweise ein paar wirklich lustige Dinge geschrieben. Lustig im Sinne von treffend. Und das war befreiend. 

Ausdruck statt Unterdrückung: Nährende Notizbücher

sharing is caring

Ich teile das heute mit dir, um zu zeigen, dass auch in meinem Leben nicht immer alles gut und positiv ist. Denn das scheinen viele MindMates tatsächlich zu glauben. Doch das ist absurd. Denn die wichtigsten Dinge im Leben haben wir alle nicht im Griff. Ich kann mich beispielsweise genau so wenig vor dem Verlust eines geliebten Menschen schützen, wie jeder andere auch.

Ich habe lediglich gelernt, besser mit Situationen umgehen zu können. Dieser Verlust ist eine Grenze, die es zu akzeptieren gilt. Denn ich kann es nicht ändern. Doch mit der Akzeptanz gehen Gedanken und Gefühle einher, denen ich Raum geben kann. Immer wieder. 

Die sogenannten negativen Gefühle wie Scham, Trauer, Angst und Wut gehören zum ErLeben dazu. Und es hilft nicht, sie verdrängen zu wollen oder zu glauben, sie sollten nicht da sein. Das macht sie nur noch mächtiger.

Deshalb bin ich beispielsweise auch kein großer Fan der diversen Dankbarkeitstagebücher, die es mittlerweile gibt. Denn ja, dankbar zu sein ist ein gutes Gefühl. Aber erfahrungsgemäß sind die positiveren Gefühle unter einem Haufen Mist begraben, den es erst mal zu bewältigen gilt. 

Und das ungefilterte Aufschreiben dieses Mists hilft mir, Platz für Gelassenheit, Leichtigkeit und Dankbarkeit zu schaffen. 

Mind your crap.

MindMuse Simone