Vergleichen um zu verlieren?

Wie oft vergleichst du dich mit anderen Menschen und verlierst diesen Vergleich? In dem Begriff “Vergleichen” steckt das Wort gleich. Doch wie gleich sind wir?

Im Laufe meines Genesungsweges ist mir mehr und mehr bewusst geworden, wie häufig ich vergleiche und wie selektiv diese Vergleiche sind.

Ich habe mein Gewicht und mein Aussehen mit den Dünnsten und Schönsten verglichen, meinen Intellekt mit den Schlausten, meinen Kontostand mit der Wohlhabendsten, usw. Mit anderen Worten:

Ich habe (unbewusst) verglichen um zu verlieren.

Und das wiederum war Nahrung für meinen Ur-Glaubenssatz: “Ich bin nicht gut genug.” Denn alle anderen waren ja schöner, dünner, schlauer und (erfolg)reicher…

Und konnten deshalb auch glücklicher, gesünder und zufriedener sein.

Das war meine Wahrheit und durch meine Art des Vergleichens habe ich mir stetig bewiesen, dass meine Wahrheit real ist. Doch das war sie nie. Denn da waren auch Menschen, die dicker, dümmer und ärmer waren als ich. Und obwohl ich von der Existenz dieser Personen wusste, waren sie in meiner Wahrnehmung nicht wirklich vorhanden.

Abgesehen davon ging es der Schönsten eventuell innerlich schlechter als mir und sie war nur eine noch bessere Schauspielerin als ich? Und vielleicht hatte die Schlauste eine Krankheit, die ihr Leben noch mehr beeinflusste, als es bei mir der Fall war? Möglicherweise war die (Erfolg)Reichste viel einsamer und gestresster als ich es war?

Wenn wir nur sehen, was wir sehen wollen, hält uns das genau in dem Zustand gefangen, aus dem wir raus wollen.

Heute vergleiche ich unbewusst viel weniger und bewusst anders. Denn ich weiß, das Vergleichen ein inneres Ungleichgewicht erzeugen kann. Ein bestimmtes Aussehen oder Gewicht etc. imponiert mir nicht mehr und interessiert mich nicht mehr.  Sondern ich nehme war, wie sich jemand verhält und kann häufig daraus schließen, was diese Person von sich selbst hält.

Ich denke, je besser wir uns selbst kennen, desto leichter können wir andere Menschen erkennen. Auf mich trifft das jedenfalls zu. Und Menschen, die sich selbst mögen, empfinde ich als sehr anziehend und inspirierend. Ich werte andere Menschen nicht mehr in “besser” oder “schlechter” sondern frage mich lediglich:

Kann und will ich von dieser Person etwas lernen?

Mein perfektes Leben

Das Thema beschäftigt mich aktuell, weil ich während der Telefon-Mentorings immer mal wieder erlebe, wie MindMates ihr Leben mit meinem vergleichen und dabei verlieren.

“Ja, du kannst das Leben leicht nehmen, denn dein Leben ist ja perfekt.” bekomme ich mit einer Mischung aus Vorwurf und Verzweiflung von meinem Gegenüber mitgeteilt. Und dann folgt die Frage: Wie kann ich das perfekte Leben bekommen?” Meine Antwort darauf: “Keine Ahnung.”  Ungläubiges Schweigen auf der anderen Seite…

Dann frage ich: Warum empfindest du mein Leben als perfekt?” Die Essenz der Antwort lautet: “Weil du alles kannst und weißt, weil es dir immer gut geht und weil du nur machst was du willst.” Spätestens an dieser Stelle muss ich lachen. Und zwar nicht über mein Gegenüber, sondern über diese Interpretation meines Lebens.

Doch das Tragische an dieser Annahme ist, dass man im Vergleich ja nur verlieren kann…

(Außer)Gewöhnlich

Die Realität ist allerdings, dass ich selbstverständlich nicht alles kann oder weiß. Sondern ich habe gelernt mit der Unsicherheit im Außen zu leben und Sicherheit in mir zu finden. Auch habe ich gelernt damit zu leben, dass es mir nicht automatisch immer gut geht, dass ich aber Einiges dafür tun kann, damit es mir besser geht. Und um häufiger machen zu können was ich will, habe ich gelernt, dass es in Ordnung ist, zu wollen, was ich will.

Mein Leben ist sehr gewöhnlich, geradezu spießig. Ich bin verheiratet, habe einen Uniabschluss, zwei Kinder und ein Häuschen im Grünen. Ich bin 1,65 m groß und damit absolut durchschnittlich.

Und nein, ich weiß nicht, wie viele ich wiege. Seit über 25 Jahren bin ich glückliche Nicht-Besitzerin einer Waage. Auch nutze ich privat keine Sozialen Medien, lese keine (Frauen)Zeitschriften, schaue keine Nachrichten und es ist mir egal, was andere Menschen über mich denken.

Und das zeigt, dass lediglich mein Umgang mit dem Leben in einigen Bereichen außergewöhnlich ist.

Vergleichen? Sinnlos! Verstehen? Sinnvoll!

Durch selektives Vergleichen entsteht lediglich (d)eine Interpretation (m)eines Lebens.

Mein Leben ist nicht besser als deins.

Ich habe nur gelernt, besser mit mir und dem Leben umzugehen.

Und das macht mein Leben leichter.

Das was uns da Draußen passiert, können wir häufig nicht ändern. Doch wir können unser inneres Erleben beeinflussen. Wir können unseren Umgang mit uns verbessern. Und erfahrungsgemäß ist das entscheidend, um irgendwann auch ohne Kompensationsmethoden wie Essstörungen leben zu können.

Denn das, wonach du dich letztlich sehnst, ist nicht das Leben eines anderen.

Es ist die Unabhängigkeit der anderen.

Ich weiß sehr wohl, was Abhängigkeit bedeutet. Denn ich war abhängig von meinem Aussehen und meinem Gewicht, und von der Meinung anderer Menschen über mich. Ich erinnere mich vor allem noch sehr genau daran wie es sich anfühlt, Abende alleine isoliert vor dem Fernseher zu verbringen und Massen an Essen in sich hinein zu schaufeln, nur um sie dann wieder zu erbrechen.

Dieses Gefühl der totalen Mach- und Hilflosigkeit, die abgrundtiefe Verzweiflung, der unendliche Selbsthass. Und als trügerischer Ausweg der Entschluss, ab morgen alles anders und besser zu machen. Ein Morgen, das am nächsten Tag zu einem heute wurde und an dem mich das Alles anders und besser komplett überforderte und den nächsten Rückfall anfütterte…

Alleine das Erinnern daran erzeugt gerade leichten Stress in meinem (Nerven)System. Mein Herz beginnt schneller zu schlagen und ich werde kurzatmiger…

Die Unabhängigkeit die ich jetzt habe, war nicht irgendwann einfach da.

Viele “alte Wahrheiten” – wie beispielsweise “Mein Kopf kann über das Gewicht meines Körpers bestimmen.” habe ich aufgeben müssen.

Und ich nähre meine Unabhängigkeit auch heute noch jeden Tag.

Sie ist mein wertvollstes Gut, denn sie hat mich enorm viel gekostet.

Was du dir jetzt zu geben lernst, wirst du zukünftig haben

Du wünschst dir mehr Lebensfreude und Leichtigkeit? Wie kannst du dir eine Portion davon jetzt, heute und hier in dein Leben holen? Oder glaubst du, du musst erst alle Probleme lösen und das Leben perfektionieren? Musst du es dir verdienen? Oder solltest du erste eine andere werden, die “ideale Version” von dir selbst?

Kannst du dich nicht an deinem Leben erfreuen, weil du eine EssStörung hast? Du hast eine Störung, du bist keine. Du kannst dich mit den Ursachen auseinandersetzten, sie verstehen, dich verstehen lernen und dich dabei an deinem Leben erfreuen. Ist es nicht erfreulich, dass du so mutig bist und hinschaust?

Es kann keine Leichtigkeit in deinem Leben geben, weil deine Probleme so schwerwiegend sind? Du hast Probleme, du bist keins. Probleme lösen sich nicht, wenn wir permanent grübeln und uns gedanklich im Kreis drehen. Sie lösen sich viel leichter, wenn wir uns von ihnen lösen, Abstand schaffen, die Perspektive verändern. Und manchmal lösen sich sich dadurch von alleine.

Wahrscheinlich wirst du weiterhin vergleichen um zu verlieren. Aber jedes Mal wenn dir das bewusst wird, kannst du erkennen, wie kontraproduktiv diese Art des Vergleichens ist. Du kannst verstehen, dass du es (unbewusst) tust, um dir deinen Ur-Glaubenssatz zu bestätigen und damit an deiner “alten Wahrheit” festzuhalten.

Anstatt (dich) zu fragen, wie kann ich auch so ein “perfektes Leben” haben, frage (dich):

Wie kann ich jetzt mit einer Herausforderung anders als bisher umgehen?

Und dadurch wirst du irgendwann gewinnen können.

Nicht durch Vergleichen, sondern durch ein gesünderes ErLeben.

MIND your mental MEALS. 

MindMuse Simone