Therapieerfahrung

Liebe MindMate, das Thema Therapieerfahrung beschäftigt mich gedanklich schon seit einigen Wochen. Und deshalb teile ich heute meine  SelbstErlebnisse dazu.

Vor einiger Zeit berichtete mir eine MindMate während eines Mentorings frustriert über die erste Begegnung mit ihrer neuen Therapeutin. Nachdem sie zögerlich von ihrer Essproblematik erzählt hatte, bekam sie von der Therapeutin folgende Antwort:

Das ist nichts, was man nicht mit ein wenig Willenskraft in den Griff bekäme.

Bähm. Das ist wie ein Schlag ins Gesicht. Oder viel eher so, als bekäme man ein Messer in eine offene Wunde gerammt.

Denn auch wenn die Therapeutin damit vielleicht Mut machen wollte, wäre bei mir früher sinngemäß Folgendes angekommen:

Stell dich nicht so an und streng dich endlich mehr an.

Es wäre genau das gewesen, was ich mir selbst immer gesagt habe. Und deshalb wäre es auch genau das gewesen, was meine Selbstzweifel und meinen Selbsthass, meinen Ur-Glaubenssatz „Ich bin nicht gut genug“  und somit meine Essstörung – genährt hätte.

Jemand der selbstsicher und reflektiert ist, würde an dieser Stelle vielleicht sagen können: „Mit Willenskraft funktioniert das gar nicht. Im Gegenteil, das habe ich jetzt auch schon lange genug versucht und dadurch bin ich in einer Abwärtsspirale gelandet. Und das führt mich letztlich zu Ihnen.“

Doch wären Essgestörte so selbstsicher und reflektiert, hätte viele keine Essstörung (mehr).

Und so kann es sein, dass eine Essgestörte die Therapie zwar weiter macht – weil man Angefangenes beendet und/oder weil die Kasse das bezahlt – das Ergebnis der Therapie aber eher mager ausfällt. Erschwerend kommt hinzu, dass viele essgestörte Frauen People Pleaser sind und feinste Antennen für andere Menschen haben. Und so erzählen sie der Therapeutin, was diese hören will.

Therapieerfahrung

Ineffiziente Therapieerfahrung

Vor einigen Jahren sagte eine MindMate gegen Ende unseres ersten Telefon-Mentorings: „Unser Gespräch hat mir mehr gebracht, als zwei Jahre Therapie. „Du hast zwei Jahre eine Therapie gemacht, die dir so wenig gebracht hat? Warum hast du nicht irgendwann aufgehört und etwas anderes ausprobiert?“ fragte ich. „Weil die Krankenkasse das bezahlt hat und ich lange gehofft habe, dass sich etwas ändert.“ war die ehrliche Antwort.

Auch hatte ich schon mehrere Gespräche in denen MindMates mir kleinlaut gestanden haben, dass sie in der Therapie möglichst das erzählen, was das Gegenüber hören möchte. Solche Therapieerfahrungen sind natürlich alles andere als hilfreich.

Und das erklärt auch, dass ich folgenden Satz schon häufig gehört habe: „Therapie funktioniert bei mir nicht, das habe ich schon mal ausprobiert.“

Drei Voraussetzungen für eine positive Therapieerfahrung

Doch wie können wir eine positive Therapieerfahrung machen?

Meiner Meinung nach helfen folgende drei Voraussetzungen dabei:

  1. Wir benötigen die Bereitschaft, den Fokus immer wieder weg vom Symptom und hin zur Ursache zu lenken.

  2. Wir brauchen ein Gegenüber dem wir vertrauen und das selbst lebt, was es lehrt.

  3. Die Therapie sollte Körperarbeit enthalten oder durch Körperarbeit ergänzt werden.

Und diese Voraussetzungen schauen wir uns jetzt mal etwas genauer an.

Bist du wirklich bereit, hinzusehen und zu verstehen?

Erfahrungsgemäß ist es so, dass Essgestörte ein großes Maß an Leid brauchen, bis sie wirklich offen für Veränderungen sind. Kannst du diese drei Fragen mit „Ja“ beantworten?

  1. Bist du so weit, ehrlich hinter deine Essproblematik zu schauen und zu erkennen, dass sie ein Symptom und nicht die Ursache ist?

  2. Bist du bereit die Überzeugung aufzugeben, dass andere Menschen dir durch Bestätigung und Aufmerksamkeit geben können, wonach du (innerlich) hungerst?

  3. Kannst du dich auf den Gedanken einlassen, die Kontrolle deines Gewichts aufzugeben und diese Aufgabe deinem Körper zu übergeben?

Es ist völlig okay, wenn du diese Fragen (noch) nicht (alle) mit „JA“ beantworten kannst. Deine aktuellen Antworten zeigen dir lediglich, wo du gerade stehst und das es einen Zusammenhang zu deiner Therapieerfahrung geben könnte.

Kannst du deinem Gegenüber vertrauen weil es lebt was es lehrt?

In einer Therapie ist es ja meistens so, dass von der Klientin erwartet wird, dass sie sich mental und emotional auszieht, während die Therapeutin eher zugeknöpft bleibt. Anders gesagt: Die Klientin soll offen über ihr Leben reden während sie nichts über das Leben der Therapeutin weiß.

Das kann schwierig sein, denn es entsteht eine Art Ungleichgewicht. Und das führt dazu, dass manche Klientinnen Dinge zurückhalten, vorsichtig und misstrauisch sind. Dieses Verhalten ist wiederum nicht zielführend, aber nachvollziehbar.

Hierzu meine eigenen Therapieerfahrung

Während meiner Genesung von der Essstörung habe ich keine „klassische“ Therapie und somit auch keine Therapieerfahrung gemacht. Doch als ich mich in 2010 selbstständig machte, tauchten alte Ängste in Verbindung mit folgenden Glaubenssätzen auf: „Selbständigkeit funktioniert nicht.“ und „Selbständige die erfolgreich sind, sind Betrüger.“

Ich wollte mich diesen Sätzen so schnell und effizient wie möglich stellen. Und es war auch ein Stück Neugierde dabei, mich für eine kassenfinanzierte Therapie bei einer Psychotherapeutin zu entscheiden.

Auf Grund der jahrelangen Auseinandersetzung mit der Esssstörung und meiner Genesung-Erfahrung hatte ich keinerlei Probleme damit, meine Ängste in Verbindung mit diesen Glaubenssätzen zu schildern. Und ich konnte auch klar benennen, wo, wann und wie mir mir diese Ängste und Glaubenssätze bei meiner Arbeit im Weg standen.

Da die Selbstreflektion bei mir mittlerweile permanent und automatisch stattfindet, erwartete ich keine bahnbrechenden Erkenntnisse und Hilfsansätze. Ich rechnete mit etwas Erleichterung durch das ehrliche Aussprechen dessen, was mir im Weg stand und ich erhoffte mir Hinweise auf neue oder vergessene Sichtweisen.

Vielleicht habe ich das anfangs bekommen, ich weiß es nicht mehr. Doch was ich noch genau weiß ist Folgendes. Hätte ich die Haltung der Therapeutin während der ersten Sitzungen beschreiben müssen, hätte sie „professionell, distanziert, aufmerksam“ gelautet.

Doch dann gab es diese Therapiestunde, in der ich eine Veränderung wahrnahm. Ich spürte, dass sie nicht bei der Sache war. Ich fühlte, dass sie in großer Sorge war und versuchte, das vor mir zu verbergen. Hätte ich ihre Haltung in dieser und der folgenden Sitzung beschreiben müssen, hätte sie „möchte-gern-professionell, distanziert und unaufmerksam“ gelautet.

Der eigenen Wahrnehmung trauen

Ich traute dieser Therapieerfahrung nicht mehr. Und hätte ich sie  zu Zeiten der Essstörung gemacht, hätte ich mich selbst in Frage gestellt und mir gesagt: „Du spinnst, die ist bestimmt wie immer, mit dir stimmt etwas nicht.“ Doch an diesem Punkt konnte ich sagen:

Sie ist nicht wie immer, mit ihr stimmt etwas nicht.

Innerlich fand für mich eine Art Rollentausch statt. Sie verlangte von mir, mir selbst gegenüber ehrlich zu sein während sie mir zeigte, dass sie sich selbst gegenüber gerade nicht ehrlich sein konnte. Also beendete ich die Therapie.

Kurze Zeit später erfuhr ich zufällig, dass der Mann der Therapeutin eine Krebsdiagnose bekommen hatte. Das war es wahrscheinlich, was sie verständlicherweise stark beschäftigt hatte.

Nun ist mir schon klar, dass Therapeuten nicht ihre aktuellen Probleme vor ihren Klienten ausbreiten sollten. Und selbstverständlich müssen Therapeutinnen sich abgrenzen und können nicht mit jeder Klientin mitleiden.

Doch sie können Mitgefühl zeigen und sie sollten sich selbst gegenüber ehrlich sein können. Wäre diese Therapeutin das gewesen, hätte sie diesen Schock erst mal ein wenig verarbeitet und Termine verschoben.

Ich kann mir folgendes Szenario gut vorstellen:

Hätte sie meinen Termin um zwei Wochen verschoben und mir dann zu Beginn etwas gesagt wie: „Entschuldigen Sie, dass ich den Termin verschoben habe, ich hatte privat etwas zu regeln“, hätte das mit meiner Wahrnehmung übereingestimmt. Ich wäre weiterhin zu ihr gegangen und hätte eine andere Therapieerfahrung gemacht.

Durch ihr Verhalten zeigte sie eine große Härte sich selbst gegenüber, während sie von mir erwartete, verständnisvoller mit mir umzugehen…

Nicht jeder Profi ist auch ein guter Profi

Auch Therapeuten sind in erster Linie Menschen mit einer Persönlichkeit, mit einer Vergangenheit, mit einem Leben. Und du kannst dir nicht vorstellen, wie viele Leute Psychologie mit der hintergründigen Hoffnung studieren, dass sie sich dadurch selbst therapieren können.

Doch nur weil wir etwas theoretisch gelernt haben, heißt das nicht, dass wir es auch praktisch anwenden können. Neben Ärztinnen und Fitnesstrainerinnen sind Psychologinnen die drittgrößte Gruppe derer, die an meinem Selbsthilfeprogramm LEICHTER teilgenommen haben…

Authentizität und Empathie

In der Endphase der Essstörung machte ich ein Jahr Therapie bei einer Heilpraktikerin für Psychotherapie. Diese Therapie habe ich als Studentin selbst bezahlt. Ich bin für diese Therapieerfahrung arbeiten gegangen und habe mein Studium um ein Semester verlängert. Und das hat sich mehr als gelohnt. Denn meine Therapeutin war authentisch und empathisch.

Ich vertraute ihr und spürte, dass sie wusste wovon ich rede. Ich fühlte, dass sie ebenfalls eine Leidenserfahrung hinter sich hatte. Und dadurch, dass sie mich das spüren ließ und auch in Ansätzen darüber berichtete, empfand ich eine Art gesundes Gleichgewicht zwischen uns.

Sie stellte sich nicht in einer professionell-distanzierten Art über mich, sie stellte sich als Mensch, der mir auf seinem Weg einige Schritte voraus war, an meine Seite.

Diese Therapieerfahrung inspirierte mich genau wie meine Klinikerfahrung zu meiner Art der Arbeit und sie ist auch ein wenig das Geheimnis des Erfolgs meines Mentorings. Denn bevor eine MindMate sich mir öffnet, kann sie durch diese Website meine Offenheit erleben.Auch während der Telefonate teile ich immer wieder persönliche Erfahrungen. Und diese Geschichten basieren auf praktisch Erlebtem und nicht nur auf theoretisch Gewusstem.

Wie nimmst du deine Therapeutin, deinen Therapeuten war, vertraust du ihr/ihm wirklich? Und falls nicht, frage dich interessiert, warum das so ist. Was nimmst du jenseits des Gesagten wahr? Und vielleicht traust du dich sogar, deine Wahrnehmung in der Therapie anzusprechen und herauszufinden, wie das deine Therapieerfahrung verändert?

An dieser Stelle sei noch mal erwähnt, dass es natürlich sehr viele in jeglicher Hinsicht großartige Therapeutinnen und Therapeuten für Psychotherapie gibt. Auch darüber berichten mir MindMates immer wieder. Und es gibt auch die, die in das andere Extrem gehen und völlig grenzenlos sind. Ich erinnere mich an die Geschichte einer MindMate, die von ihrem Therapeuten regelrecht gestalkt wurde…

Kurz und gut:

Wir sollten nicht von einer Therapieerfahrung auf alle Therapien und Therapeuten schließen.

Körperarbeit als Voraussetzung für Kopfarbeit

Meiner Erfahrung nach wird der bewusste Einsatz des Körpers als Therapiemaßnahme noch häufig unterschätzt bzw. werden die Kosten für Körperarbeit oft nicht von den Kassen übernommen. Eine gewisse Trendwende ist zwar da, doch wie entscheidend und hilfreich unser Körper auf unserem Genesungsweg sein kann, spielt noch eine zu geringe Rolle.

Ab einem gewissen Punkt kann selbst eine Gesprächstherapie die zunächst erfolgreich ist kontraproduktiv werden wenn der Körper zu wenig Beachtung findet.

Diesen Zustand nenne ich den Theorie-Stau. Wenn die Phase zwischen „Ich habe etwas erkannt und verstanden“ und „Ich kann das Erkannte und Verstandene auch anwenden und umsetzen“ zu lange dauert, wird es häufig kritisch. Denn dann greifen die alten Glaubenssätze: „ich kann das nicht, ich bin nicht gut genug, bei mir funktioniert das nicht,… wieder.

Der bewusste Einsatz des Körpers ist immer eine gute Therapieerfahrung.

Negative Erfahrungen sitzen als negative Gedanken und Bilder in unserem Kopf und als negative Gefühle und Körperempfindungen in unserem Körper. Für mich war es einer der größten Game-Changer zu erkennen, dass mein Kopf meinen Körper zwar zu meinem Feind macht, mein Körper aber mein Freund sein will. Unser Körper kommuniziert ständig mit uns. Und wenn wir nicht zuhören und ihn ignorieren muss er immer lauter schreien um sich Gehör zu verschaffen.

Kommunikation ist keine Einbahnstraße

Wenn wir beginnen auf unseren Körper zu hören und auf das Gehörte mit Hilfe unseres Kopfs reagieren, beschleunigen wir Veränderungsprozesse. Und das funktioniert auch anders herum:

Haben wir gelernt, die Signale unseres Körpers zu erkennen, können wir ihn mit Hilfe unseres Kopfs positiv beeinflussen.

Hierzu ein einfaches Beispiel. Du befindest dich in einer stressigen Situation. Deine Gedanken rasen und es schreit in deinem Kopf: „Finde eine Lösung, finde sofort eine Lösung!“ Doch du findest keine und dein Stress-Level steigt. Begibst du dich jedoch bewusst in deinen Körper, wirst du wahrnehmen, dass dein Herz rast und deine Atmung kurz und flach ist.

Beginnst du jetzt, tiefer zu atmen und länger aus- als einzuatmen, wird sich dein Herz beruhigen. Und damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass dein Kopf eine Lösung finden wird.

Ein entspannter Körper ist die kurzfristige Voraussetzung für lösungsorientiertes Denken und Handeln und somit langfristig auch für deine (Selbst)Heilung.

Abgesehen davon bin ich bis heute unendlich dankbar für die Kapazität die in meinem Kopf frei geworden ist, seitdem mein Körper wieder bestimmt, was ich wann und wieviel und wovon esse…

Wenn du eine reine Gesprächstherapie machst die für dich funktioniert, oder falls du gar keine Therapie machst, suche dir (ergänzend) ein körperliches Element wie beispielsweise Yoga(Therapie). Und gehe mehrmals täglich bewusst in deinen Körper. Lerne ihm zuzuhören und ihn bewusst einzusetzen.

Therapieerfahrung

Die wichtigste Therapieerfahrung

Bisher ging es überwiegend um die Art von Therapie, bei der dich eine andere Person begleitet. Eine Definition von Therapie ist Heilbehandlung. Und die wichtigste Therapieerfahrung die ich kenne sind tägliche, heilende Handlungen. Also Dinge zu tun die mir helfen, die mir Spaß machen, die mir gut tun, durch die ich mich körperlich oder kreativ ausdrücken kann.

Denn egal wie gut eine Therapeutin ist, sie kann bestenfalls eine gute Begleiterin auf deinem Genesungsweg sein. Gehen musst du den Weg selbst.

Und je besser du dich selbst begleiten kannst, desto leichter und schneller kommst du an.

MIND your mental MEALS :)

MindMuse Simone