Was bringt ein Klinikaufenthalt bei Essstörungen?
Mein persönliches Fazit

Vor ziemlich genau 15 Jahren habe ich nach einem dreimonatigen Aufenthalt die Hochgratklinik verlassen. Ich kam dort sehr verzweifelt an, hatte gerade ein stressiges Semesterende und eine „Hoch-Zeit“ meiner Bulimie hinter mir. Als ich Ende September wieder nach Hause fuhr, hatte ich mir die Essstörung endgültig zu meinem Wegweiser gemacht, der mich von da an noch ungefähr 9 Monate lang begleitete. Danach war es vorbei. Seit Juni 1998 habe ich keine Bulimie mehr.

Seit jenem Herbst 1997 erinnere ich mich jedes Jahr im September gerne an meinen Klinikaufenthalt. Und ein Teil von mir fühlt sich seitdem im Allgäu zu Hause. Denn ich habe mir dort selbst die Möglichkeit gegeben, mich endgültig und rückhaltlos zu entdecken und anzuerkennen.

Wie effektiv ist ein Klinikaufenthalt?

Viele Essgestörte denken über einen Klinikaufenthalt nach. Und es gibt auch viele, die einen Klinikaufenthalt oder sogar mehrere hinter sich haben und doch ist die Essstörung immer noch Bestandteil ihres Lebens.

Woran liegt es, dass mancher Klinikaufenthalt erfolgreich ist, und andere scheinbar umsonst?

Meiner Erfahrung nach sind zwei Faktoren dafür entscheidend, ob ein Klinikaufenthalt etwas bringt, oder nicht:

Willst du selbst wirklich deine Essstörung loswerden und deshalb in eine Klinik?

Wer diese Frage nicht mit einem lauten deutlichen JA beantworten kann, dem fehlt die Motivation. Und Motivation kann nicht von Dritten erzeugt werden. Wenn also deine Eltern oder dein Arzt der Meinung sind, du solltest deine Essstörung in einer Klinik behandeln lassen – und du insgeheim anderer Meinung bis – ist ein Erfolg eher unwahrscheinlich. Ich glaube, um sich ernsthaft auf eine Klinik einlassen zu können, ist ein gewisser Grad der Kapitulation gegenüber der Essstörung unerlässlich. Du musst an einem Punkt sein, an dem du begriffen hast, dass du Hilfe von Außen brauchst, um dich mit dem Problem – bzw. dessen Ursachen – auseinandersetzen zu können.

Passt das Konzept der Klinik zu dir?

Es gibt diverse Therapieansätze, mit denen Kliniken Patienten mit Essstörungen behandeln. Hier ist es entscheidend, selbst aktiv zu werden. Du kannst dir Informationsmaterial zusenden lassen, in den Kliniken anrufen oder eine Informationsveranstaltung besuchen.

Mein Klinikaufenthalt

Ich habe mich im Winter 1996 ganz bewusst dazu entschlossen, in die Hochgratklinik zu gehen. Aus dem Buch Von mir aus nennt es Wahnsinn. Protokoll einer Heilung (Affiliate-Link zu Amazon.de) und auch durch Erzählungen einiger Teilnehmerinnen der OA erschien mir das „Herrenalber Modell“ das richtige Konzept für mich zu sein. Ich rief dort an, ließ mir Infomaterial schicken, reservierte mir einen Termin zu Semesterferienbeginn und füllte einen sogenannten „Motivationsbogen“ aus in dem ich erläutern sollte, warum ich bezüglich meiner Bulimie in diese Klinik wollte. Danach meldete ich mich bei meiner Krankenkasse und überzeugte einen Vertrauensarzt damit ich das Okay von der Kasse bekam.

Ich habe mir meine Chance geschaffen und habe sie genutzt – und zwar volle 12 Wochen lang. Ob das heute noch genau so möglich wäre, weiß ich nicht. Wie ich gehört habe, ist mittlerweile ein Aufenthalt von ca. vier bis sechs Wochen üblich, da die Kassen keine längeren Aufenthalte genehmigen.

Das Konzept der Hochgratklinik funktionierte mit viel Eigenverantwortung und Vertrauen und wenig Kontrolle. Ich konnte damals sehr gut damit leben, denn ich bekam quasi den Rahmen, den ich brauchte. In der „Essstuktur“ verpflichtete ich mich zu drei vollwertigen Mahlzeiten am Tag. Diese Mahlzeiten aß ich ohne wenn und aber drei Monate lang mit dem erstaunlichen Ergebnis, das ich mich viel besser fühlte und am Ende zwei Kilo leichter war. Natürlich hätte ich – wie ich es häufig als Kritikpunkt an Kliniken lese – heimlich essen und/oder brechen können. Aber diese Möglichkeit ist in meinen Augen kein Versagen einer Klinik, sondern eine Chance, die man sich selbst nimmt.

Während meines Klinikaufenthaltes machte mich das Programm und die anderen Menschen satt, sie gaben mir die Nahrung, nach der ich mich so lange gesehnt hatte. Dass ich selbst mit dem Essen nicht mehr umgehen konnte, gestand ich mir ein und gab diese Verantwortung erfolgreich an die Klinik ab: „Ihr sagt mir, was ich wann essen soll, ich esse es.“ Das Ergebnis war die bewusste Erfahrung, dass ich satt werden und regelmäßig essen kann, ohne dabei dicker zu werden.

Das Essen konnte ich abgeben, dadurch bekam ich den Raum, mich mit den Ursachen der Bulimie, meinen eigentlichen Problemen, auseinander zu setzen. Und ich bekam die Hilfestellung der Therapeuten die ich wollte und die Unterstützung der Mitpatienten die mir gut taten.

Mein persönliches Klinikfazit ist sehr positiv und ich möchte jede von euch dazu ermutigen, diesen Schritt zu tun. Und ja, wahrscheinlich war mein Klinikaufenthalt auch so effektiv, weil ich schon viel Vorarbeit geleistet hatte. Ich hatte mich schon durch diverse Selbsthilfebücher geackert, Selbsthilfegruppen besucht, mit Freunden und Familie etc. gesprochen. Ich kannte meine Denkens- und Verhaltensweisen, die die Essstörung auslösten. Aber auch zu einem früheren Zeitpunkt hätte mich ein Klinikaufenthalt weitergebracht. Vielleicht hätte ich dann auch zwei Aufenthalte gebraucht. Egal – wichtig ist, aktiv nach Hilfe zu suchen und sich dann auch auf die Unterstützung einlassen zu können.

Weitere Klinikbewertungen findest du auf klinikbewertungen.de.

lebenshungrige Grüße

Simone