Bodyshaming: Kommentiere keine Körper!

Was ist Bodyshaming?

Wikipedia erklärt Bodyshaming so: “Als Bodyshaming bzw. Body-Shaming  werden vor allem in sozialen Netzwerken abwertende Äußerungen über das Aussehen anderer bezeichnet. Der Begriff setzt sich zusammen aus Body, englisch für ‚Körper‘ und Shaming, englisch für ‚Beschämung‘. Eine verbreitete Form von Bodyshaming ist gewichtsbezogene Stigmatisierung.”

Verletzte Menschen verletzen Menschen

Das Thema Bodyshaming ist allgegenwärtig, besonders in den sozialen Medien. Denn dort besteht meist die Möglichkeit, anoynom zu shamen. Und Bodyshaming findet häufig dann statt, wenn Menschen die Argumente ausgehen und sie deshalb persönlich werden. Oder weil sie selbst verletzt wurden und deshalb (unbewusst) andere Menschen verletzten (wollen):

Bodyshaming

Mit dieser Erinnerung möchte ich Menschen, die Bodyshaming betreiben, keinesfalls entschuldigen oder sie von ihrer Verantwortung freisprechen. Sondern es ist ein Versuch, das Verhalten dieser Menschen zu erklären. Und vor allem geht es mir darum, dass diejenigen, die Bodyshaming erfahren, erkennen können, dass es wenig um sie selbst – bzw. um ihren Körper – und viel um die Person geht, die shamed.

Bodyshaming: zu alt, zu dick, zu hässlich

Wir leben in einer Gesellschaft, in der Äußerlichkeiten und unser Aussehen ungesund wichtig geworden sind. Kürzlich las ich irgendwo im Internet ein Interview mit einer sogenannten Beauty-Influencerin, die einige Kilo verloren hatte. Sie berichtete, dass diese Veränderung permanent kommentiert wird. Es gab viele Komplimente, aber auch Kritik im Sinne von: “Du siehst jetzt älter aus”, “Für dein Alter bist du zu dünn.” oder “Nimm nicht noch mehr ab, ich mache mir Sorgen.”

Wer die Aufmerksamkeit bewusst auf sein Aussehen lenkt, der muss damit rechnen, dass genau das permanent kommentiert und bewertet wird. Und in erster Linie geht es Influencern ja um Reichweite. Auch negative Kommentare bedeuten letztlich genau das. Die Kardashians und Katzenbergers dieser Welt leben davon, dass sie polarisieren. Und sie machen das oft durchaus bewusst. Bodyshaming gehört für sie quasi zum Geschäft. Aber das macht Bodyshaming an sich nicht besser oder legitimer.

Themenferne und grenzüberschreitende Kommentare

Doch es gibt auch Menschen, die mit ganz anderen Schwerpunkten – oder einfach nur privat – im Internet unterwegs sind. Und auch sie erleben häufig Bodyshaming. Vor kurzem schaute ich auf YouTube das Video einer Künstlerin, die ihre eigenen Designs und Produkte rund um das Thema Bücher in ihrem Online-Shop verkauft. Und nachdem sie via Instagram neue Produkte vorgestellt hatte, kommentierte jemand sinngemäß: “Du solltest mehr auf dein Aussehen achten, du wirkst älter, als du bist, du brauchst unbedingt mal einen Termin in einem Schönheitssalon.”

Diese Künstlerin berichtete mutig in ihrem YouTube-Video, dass sie diese Bewertung verständlicherweise als übergriffig und verletzend empfunden hat. Pures Bodyshaming also. Doch was mich sowohl wütend als auch traurig gemacht hat, war die Auswirkung, die dieser Kommentar hatte. Denn gleich zu Beginn des nächsten YouTube-Videos entschuldigte sie sich für ihr Aussehen und rechtfertigte es mit einem Trauerfall in der Familie. Das zeigt, welche Wirkung Bodyshaming haben kann. Und bei vielen Menschen können die Folgen von Bodyshaming noch viel tiefer gehen und zu sozialem Rückzug und selbstzerstörerischem Verhalten führen.

Bodyshaming als “Totschlagargument”

Mit Anfang zwanzig, Mitte der 90er Jahre, habe ich einen Brief an die BILD geschrieben. Denn damals gab es noch täglich eine (halb)nackte Dame auf der Titelseite zu sehen. Und ob ich wollte, oder nicht: Ich wurde an jeder Supermarktkasse damit konfrontiert. Deshalb habe ich meiner Empörung über “die permanente Darstellung von Frauen als Objekte” verbal Luft gemacht. Mein Brief endete mit dem Satz: Und nein, ich bin weder alt noch dick oder hässlich.

Denn mir war schon damals bewusst, dass Bodyshaming als Totschlagargument genutzt wurde und wird: “Eine Frau, die sich für sowas einsetzt, ist bestimmt nur neidisch, weil sie selbst so alt, dick und/oder hässlich ist, dass sie keine Chance hat, auf der Titelseite zu landen.” Die BILD hat sich übrigens nicht herabgelassen, mir zu antworten. Doch irgendwann wanderte die (Halb)Nackte auf Seite drei, bis sie irgendwann ganz verschwand.

Doch Bodyshaming ist leider nicht verschwunden.

Alles nur Neid?

Vor einigen Jahren habe ich mal ein Video auf YouTube hochgeladen, in dem ich “Germanys Next Top Model” kritisiert habe. Das Video war Bestandteil einer Serie, die nicht mehr online ist. Unter dem Video gab es einige Kommentare, in denen es um das Thema ging. Und dann gab es diesen einen Kommentar: “Du bist nur neidisch auf Heidi, weil sie besser aussieht, als du.”

Schon damals habe ich innerlich genau so reagiert, wie auf das Video der Künstlerin. Ich war wütend und traurig. Und zwar nicht, weil dieser Kommentar mich verletzt hätte. Denn das funktioniert bei mir nicht mehr. Sondern weil mir bewusst geworden ist, wie sehr andere Frauen sich aus Angst vor Bodyshaming zurückhalten und sich zu vielen Themen erst gar nicht äußern.

Wie können wir am besten auf Bodyshaming reagieren?

Wie hättest du an meiner Stelle reagiert? Für mich gab es damals zwei Möglichkeiten:

  1. Konfrontation: “Hättest du mir das auch ins Gesicht gesagt, wenn wir uns gegenüber gestanden hätten? Wahrscheinlich nicht, denn du hast nicht mal den Mut, unter deinem echten Namen zu kommentieren. Und während ich auf sachlicher Ebene ein Fernsehformat kritisiere, weil ich um dessen Wirkung auf Mädchen und Frauen weiß, beleidigst du mich persönlich.”
  2. Ignoranz: gar keine Reaktion

Damals habe ich diesen Kommentar ignoriert. Denn wenn jemand nicht sachlich argumentiert, sondern persönlich angreift, will er Aufmerksamkeit. Und genau die schenke ich solchen Menschen ungern. Was man meiner Meinung nach in solchen Situationen nicht tun sollte, ist, sich für sein Aussehen zu rechtfertigen, es zu erklären, in der Hoffnung, doch noch irgendwie Bestätigung und Verständnis vom Shamer zu bekommen. Denn Menschen, die auf diese Weise Bodyshaming betreiben, wollen nicht verstehen, sie wollen verletzen.

Damit hier keine Missverständnisse entstehen: Ich bin nicht der Meinung, dass wir Bodyshaming ignorieren sollten, im Gegenteil. Doch manchmal sagt man seinem Gegenüber durch Ignoranz mehr als durch Konfrontation.

Und wer genau bestimmt, ab wann jemand alt, dick und/oder hässlich ist? Warum soll das eigentlich etwas Negatives sein? Denn zumindest älter werden wir alle.

Abgesehen davon, selbst wenn uns jemand als total alt, dick und hässlich empfindet, haben wir das Recht auf unsere eigene Meinung und das gibt niemandem das Recht auf Bodyshaming.

Auch positive Bewertungen sind Bewertungen.

Ich persönlich stehe auch Komplimenten in Bezug auf das Aussehen kritisch gegenüber. Denn auch wenn Komplimente positiver als Bodyshaming scheinen, so geht es doch um Äußerlichkeiten. Ich erinnere mich noch gut daran, was passierte, als ich als Jugendliche die ersten Komplimente für mein Aussehen bekam. Ja, es hat sich erst mal gut angefühlt. Doch dieses Gefühl hat nie lange angehalten und ich wollte immer mehr davon.

Und das hat dazu geführt, dass ich mich selbst immer mehr von Außen betrachtet habe. Auch für mich selbst wurde mein Körper zu einem Objekt. Zu einem Objekt, das mir scheinbar Macht gab: “Wenn ich schön und schlank bin, bekomme ich Komplimente und dann fühle ich mich gut. Also werde ich noch schöner und noch schlanker und dann werde ich mich noch besser fühlen.”

Doch diese scheinbar logische Schlussfolgerung hatte einen Haken: Aufgrund meines negativen Selbstbilds hielt das positive Gefühl durch ein Kompliment nie lange an. Dieser kurze, positive Kick ist das, was ich heute das High einer Abhängigen nenne. Danach gierte ich, brauchte immer mehr davon. Denn das Problem war: Ich glaubte nicht wirklich, was die anderen sagten. Ich landete nach jedem kurzen Hochgefühl wieder bei meinem Ur-Glaubenssatz, nicht gut genug zu sein.

Und heute weiß ich, dass kein Kompliment dieser Welt diesen Ur-Glaubenssatz nachhaltig verändern kann. Das können nur wir selbst, in dem wir verstehen, dass er nicht der Wahrheit entspricht. Und indem wir Äußerlichkeiten neutraler betrachten und damit aufhören, unseren Wert davon abhängig zu machen.

Denn gutes Aussehen alleine macht genauso wenig innerlich satt, glücklich und zufrieden, wie Beliebtheit, Geld oder Erfolg.

Beschämst und bewertest du (deinen) Körper?

Die tragischste Form von Bodyshaming ist die, die wir uns selbst antun. Es ist die Stimme unserer inneren Kritikerin, der “Unmöglichen“, die permanent etwas zu meckern hat. Und sie vergleicht unseren Körper ständig mit anderen.  Und egal, wie sehr du dich bemühst, sie findet etwas, was ihr nicht passt. Die Unmögliche ist eine Meisterin in Bodyshaming. Doch die Lösung liegt nicht darin, immer wieder zu versuchen, es ihr recht zu machen. Sondern es geht darum zu erkennen, dass sie nicht recht hat.

Denn entscheidend ist nicht, ob unser Körper irgendwelchen Schönheitsidealen entspricht, sondern wie wir uns in ihm fühlen und wie wir mit seiner Unterstützung ein Leben nach unserem Geschmack (er)leben können.

Mind your comments.

MindMuse Simone

P.S.:

Hast du schon mal Bodyshaming durch andere erlebt? Hat sich also schon mal jemand ungefragt (negativ) über dein Aussehen geäußert? Und falls ja, was hat das mit deinem Innen(er)leben gemacht? Und wie hast du auf das Bodyshaming reagiert?

6 Antworten
  1. Tara says:

    Auf dem Weg nach hause musste ich einem Mann ausweichen, der mich sonst umgerempelt hätte. Die Frau, die bei ihm war, hat sich für ihn entschuldigt (?) mit den Worten: “Tut mir Leid, er ist nur bei weiblich aussehenden Frauen höflich.” Ich war so baff, dass ich nur “Alles gut, kein Problem, nichts passiert” antworten konnte. Ich habe nicht das Gefühl, dass sie mich beleidigen wollte, es wirkte eher wie verinnerlicht und unterbewusst. Und dann frag ich mich da noch, was genau höflich sein in diesem Fall bedeutet, wenn es nur “weiblich aussehenden Frauen” gegenüber auftritt?

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    • Simone Happel says:

      Liebe Tara,
      danke für das Teilen dieser “besonderen” Erfahrung, die du hoffentlich nicht persönlich nimmst. Denn scheinbar bist du einem Mann begegnet der glaubt, dass Frau sich seine Aufmerksamkeit (Höflichkeit?) mit einem bestimmten Aussehen verdienen muss. Alle anderen darf man(n) übersehen oder auch umrempeln, wenn sie nicht schnell genug ausweichen. Und dann hat er da auch noch eine Frau an der Seite, die sein unmögliches Verhalten ermöglicht, in dem sie es entschuldigt und ihn erklärt. Dieser Typ brächte eine Frau an seiner Seite, die ihm in solchen Situationen die Meinung geigt. Aber so eine Frau wäre ihm bestimmt – innerlich wie äußerlich – nicht “weiblich” genug. Ich kann dein “Baff-Sein” sehr gut nachvollziehen! Und möge eines Tages eine sehr “weiblich” aussehende Frau sehr unhöflich zu ihm sein…
      Liebe Grüße
      Simone @MindMeals

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  2. Nicci says:

    Liebe Simone! Ich habe deinen Artikel mit Interesse gelesen. Body shaming ist es etwas, das ich seit über 35 Jahren (fast) jeden Tag erlebe. Ich bin sehr stark übergewichtig. Seit meiner frühesten Kindheit habe ich erfahren, dass ich nur “richtig” bin, wenn ich einen schlanken Körper habe, hübsch nur bin, wenn ich schlank bin und das vor allem der Körper und das Aussehen ausmachen, ob man auf mich stolz ist – oder eben nicht. Essen, Essverhalten, Kommentare über das Essen, Dramen rund um´s Thema Essen prägten meine Kindheit und Jugend. Natürlich war das Thema “Körper/ und Schönheit” auch in der Schule ein großes Thema. Ich war eine Aussenseiterin und wurde auf Grund meiner Körpermerkmale verspottet, gemieden und ausgegrenzt. All dies hat zu einer sehr strak ausgeprägten Essstörung geführt. Besonders schlimm war es für mich, dass niemand mit mir gemeinsam im Turnunterricht turnen wollte. “Miss Piggy” haben sie zu mir gesagt. Ich habe mich so geschämt für mich, meinen Körper, dafür Aussenseiterin zu sein. Auch ich selbst zweifelte so oft an mir, meinem Aussehen in Zusammenhang mit Liebenswürdigkeit. Es braucht viele Jahre Therapie um diese Erlebnisse zu verarbeiten, zu integrieren und so etwas wie Frieden und Freundschaft zu mir selbst und meinem Körper zu entwickeln. Mir selbst und meinem Körper mit Wohlwollen zu Begegnen. Zu erkennen, das mein Körper mein Freund und nicht mein Feind ist ein Lernprozess. Ich wünsche uns allen Betroffenen die Sicherheit und Gewissheit, dass wir, mit und in unserem Körper, wunderbar, liebenswert und einzigartig sind. Genau so, wie wir sind!

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    • Simone Happel says:

      Liebe Nicci,
      vielen herzlichen Dank für das offene Teilen deiner Erlebnisse. Es tut mir im Herzen und in der Seele weh, wenn ich mir vorstelle, durch was du gegangen sein musst… . Und ich bewundere dich für die Stärke und Ausdauer die du aufgebracht hast, um zu verarbeiten, zu integrieren und Frieden und Freundschaft (mit dir) entwickeln zu können!!! Wir können nicht immer vermeiden, beleidigt und beschämt zu werden. Das ginge nur in einer “perfekten” Welt. Doch wir können lernen, die Scham und das Leid bei dem zu lassen, der es auslöst. Für mich ist es mittlerweile so, als hätte ich eine Art Schutzschild um mein Selbst, an dem jegliche “Angriffe” abbrallen. Und das ist so, seit ich wirklich verinnerlicht habe, dass ich – unabhängig von meinem Aussehen, meinen Leistungen, meinem Verhalten und meinen Empfindungen – im Kern “gut genug” bin. Und deshalb kann ich mich deinen Wünschen nur anschließen!
      Liebe Grüße
      Simone @MindMeals

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