So habe ich die Magersucht erlebt

Die Magersucht (lateinisch: Anorexia Nervosa), oftmals auch Anorexie genannt, war die erste Essstörung, die ich hatte. Doch dass ich magersüchtig war, ist mir damals nicht bewusst gewesen. Und genau darin liegt für mich die Tücke der Magersucht. Denn warum sollte man sich mit etwas auseinandersetzen, dass einem gar nicht bewusst ist?

Wie bei so vielen Betroffenen war eine Diät meine „Einstiegsdroge“ in die Magersucht. Ich wollte etwas abnehmen, begann eine Diät und nahm ab. Das fühlte sich zunächst großartig an. Es gab mir ein Gefühl von Kontrolle und ich verachtete insgeheim andere Menschen, die sich nicht „unter Kontrolle“ hatten. Diesen Trugschluss nenne ich heute „die Arroganz der Magersucht“.

Die Magersucht beginnt im Kopf

Wie alle Essstörungen findet die Anorexie zunächst überwiegend im Kopf statt. Bei mir gab es damals folgende Gedanken: „Je dünner ich bin, desto perfekter bin ich. Und wenn ich perfekt bin, bin ich unangreifbar, bekomme Komplimente und andere werden mich beneiden.“ Heute weiß ich, dass ich nach Bestätigung und Sicherheit hungerte. Denn ich war unsicher und zweifelte an mir.

Je weiter die Magersucht fortschritt, desto besessener wurde ich vom Essen. Ständig dachte ich über Lebensmittel und Mahlzeiten nach und ich kochte und backte für andere. Und die Magersucht brachte mich dazu, zu lügen. Die Angst vor einer Gewichtszunahme war so groß, dass ich mein Essen mit in mein Zimmer nahm und es später im Müll entsorge. Oder ich behauptete, bereits woanders gegessen zu haben.

Das „ver-rückte“ Selbstbild

Als ich meine persönliche „magische Grenze“ von 50 kg unterschritten hatte beschloss ich, sie nie mehr zu überschreiten. Da ich es nicht schaffte, mich extrem runter zu hungern, war die Magersucht nicht unbedingt körperlich sichtbar bei mir. Doch heute kann ich sehen, dass ich sehr dünn war. Empfunden habe ich mich damals aber als „noch immer nicht dünn genug“. Und genau das meinte ich auch im Spiegel zu sehen. Das war meine Realität, die Realität der Magersucht: ein ver-rücktes (Selbst)Bild.

Diese gestörte Körperwahrnehmung (Dysmorphophobie) ist typisch für Essgestörte. Genau so typisch war die zwanghafte Beschäftigung mit Lebensmitteln, das Zählen von Kalorien und das ständige Wiegen. Während ich noch glaubte, alles unter Kontrolle zu haben, hatte die Magersucht mich unter Kontrolle. Doch das wurde mir erst schmerzhaft bewusst, als ich in die Bulimie kippte…

Die entscheidende Frage für Magersüchtige lautet heute für mich: Wonach hungerst du wirklich?

Denn ursprünglich geht es bei der Entstehung der Magersucht gar nicht um Lebensmittel, Aussehen oder Gewicht, sondern um Emotionen, und Bedürfnisse, es geht um Sicherheit und Selbstbestimmung…

Hier habe ich die Ursachen aller Essstörungen sowie die Chancen dahinter beleuchtet.