Über Menschen und Masken

Im Oktober 2022 war ich zum ersten Mal im Herbst in Südfrankreich. Während es im Sommer heiß ist und die Strände voll sind, so herrscht nur einige Wochen später eine ganz andere Stimmung an der blauen Küste.

Manchmal saß ich morgens ganz alleine an “unserem” Strand. Und ich habe das sehr genossen. Einfach nur dasitzen und auf das Meer schauen. Nichts tun, nur sein. Die Wellen kamen und gingen und kamen wieder. Genau so, wie meine Gedanken. Die Sonne, der Wind, das Meer und ich, wir waren einfach nur da.

Eines Morgens sah ich eine ältere Dame, die am Strand spazieren ging. Auf meiner Höhe angekommen blieb sie stehen, lächelte mich an und sagte langsam nickend: “Es ist alles gut.” Ich grinste zurück und antwortete: “Ja, es ist alles gut.” Diese wenigen Worte und unsere Blicke sagten so viel mehr. Dann ging sie weiter, langsam, aber stetig. Und ich blickte ihr nach und war gerührt.

Im letzten Jahr hatten wir eine Frankreich-Pause. Doch in diesem Sommer waren wir wieder dort. Große Hitze, volle Strände, das Mittelmeer badewannenwasserwarm. Und eines Tages sah ich sie. “Meine” ältere Dame. Unbeeindruckt von all dem Trubel ging sie ihren Weg am Strand entlang, langsam aber stetig. Und es freute mich sehr, dass sie da war. Ich blickte ihr nach und war gerührt.

Wahrscheinlich denke ich dieser Tage an sie, weil diese Begegnung so pur, so ehrlich und auf das Wesentliche und Wichtige reduziert gewesen ist. Wir sahen und verstanden uns. Doch das ging nur, weil wir keine Masken getragen haben. Und aktuell ertrage ich sie schwer, die Masken, all diese ungelebten Leben.

Masken, hinter denen Menschen sich vor anderen verstecken. Die aber auch dazu führen, dass sich diese Menschen selbst nicht sehen können. Und wer sich nicht sieht, weiß nicht genau, wer er ist. Wer nicht weiß, wer er ist, weiß nicht, was er braucht und möchte. Und wer das nicht weiß, der existiert zwar, lebt aber nicht.

Menschen tragen Masken, weil sie verletzt worden sind und sich vor weiteren Verletzungen schützen wollen. Und Menschen tragen Masken, weil sie für ihr Haben und Tun bewundert oder beneidet werden wollen. Denn sie glauben, dass die Anerkennung anderer ihre Verletzungen heilt. Aber wer zu viel hat und tut, kann zu selten einfach nur sein und hält so seine seelischen Wunden offen.

Was wir wirklich brauchen, ist, von Menschen als Mensch wahrgenommen zu werden. Das funktioniert aber nur, wenn wir bereit sind, unsere Masken abzunehmen. Dann können wir sehen und verstehen. Uns selbst und andere. Dann können wenige Worte und Blicke so viel (aus)sagen.

Deshalb möchte ich manchmal schreien: “Nehmt doch endlich diese Masken ab und lebt euer Leben. Dann ist nicht immer alles gut, aber meistens vieles besser!” Doch das tue ich nicht. Ich packe meine Tasche und mache mich wieder auf den Weg an die blaue Küste. Ob sie wohl da sein wird?

MindMuse Simone