„Warum Öko-Essen dich nicht automatisch gesund macht“

Heute veröffentliche ich eine Geschichte, die ich per Mail bekommen habe. Und sie bestätigt, was ich selbst beobachte. Natürlich sind Massen an Zucker und Weißmehl etc. nicht gesund. Aber es ist genau so ungesund, es mit dem „Öko-Essen“ zu übertreiben. Ich beobachte bei einigen Freunden meiner Kinder genau das, was in dieser Geschichte beschrieben wird: Kinder, die zu Hause extrem „gesund“ ernährt werden, sind sehr fixiert auf das „Ungesunde“ und das holen sie sich dann eben anderswo oder später…

(D)eine Geschichte

Ich gehöre nicht zu denen, die schon seit ihrer Kindheit Probleme mit ihrer Figur haben. Mit meiner Figur nicht, nein, aber dafür mit dem Essen. Ich gehörte zwar eher zu den Kindern, die etwas pummelig waren und habe mich darüber des Öfteren geärgert, doch ein wirkliches Problem sah ich darin nicht. Das Problem lag, wie bereits erwähnt, schon damals bei dem Essen.

Meine Mutter hat immer sehr gesund gekocht und Wert auf gute Zutaten gelegt. Doch es ging nicht darum, ob die Mahlzeiten schmeckten, sondern darum, ob sie gesund waren und dem Ökö-Lebensstil entsprachen, den meine Mutter damals versuchte zu leben. Deshalb mussten wir Kinder oft Dinge essen, die uns weder schmeckten, noch optisch ansprachen. Dass wir uns mal Etwas zu essen wünschen durften, kam so gut wie nie vor. Wenn doch, war die Auswahl sehr beschränkt. So kam es, dass ich mich immer und egal wo, sobald es in meinem Augen leckeres und „normales“ Essen gab, darauf stürzte. Sei es bei Freunden, in der Schule oder sogar schon, soweit ich mich recht erinnere, auf Kindergeburtstagen zu Kindergartenzeiten. Ich kannte kein Maß und habe immer mehr Süßigkeiten, Pommes und Chips als alle anderen Kinder gegessen. Besonders Zucker war für mich sehr reizvoll, da es bei uns zu Hause größtenteils Vollkorn, Dinkel und nur selten Weißmehl gab. Aufgrund dessen blieb ich auch als Teenager pummelig, allerdings in unbedenklichem Maße, da ich gern unterwegs war und auch Sport machte.

In glücklichen Zeiten störte mich meine Figur kaum, doch wenn ich mal eine schlechte Phase hatte, begann ich das auf meine Figur zu übertragen und zog falsche Schlüsse. Ich sagte mir immer, dass Jungs mich mehr mögen würden, wenn ich dünner wäre, da in meinen Augen meine dünneren Freundinnen beliebter waren als ich. Wie gesagt, falsche Schlüsse. Doch diese falschen Verknüpfungen haben sich in meinem Kopf immer mehr gefestigt. Bis ich 18 war und ich mich von meiner ersten, und bisher einzigen, großen Liebe trennte, war mein jetziges Problem noch kein wirkliches Problem in dem Sinne. Ich war zwar meist unzufrieden mit meiner Figur, aber ich aß normal und meine seltenen Diätversuche scheiterten meist bereits am ersten Tag. Doch als es zu der besagten Trennung kam, änderte sich das. Ich fühlte mich unglaublich ungeliebt und wertlos, und dachte, mich würde niemals mehr Jemand lieben. Diese Gedanken schwirren heute noch in meinem Kopf rum, was mitunter dadurch bedingt ist, dass mein Exfreund sich die letzten Jahre über, und auch heute noch, nur bei mir meldet, wenn er Sex will. Jedenfalls verlor ich in dieser Zeit den Appetit, nicht weil ich abnehmen wollte, sondern weil ich todunglücklich war. Ich nahm in kürzester Zeit einige Kilos ab und war auf einmal sehr schlank. Ich war zwar immer noch todunglücklich, aber das Dünnsein gefiel mir. So kam es, dass sich unglücklich und dünn sein in meinem Kopf verknüpften. Als nach der Trauer der Frust kam, kamen auch die Kilos und ich nahm mehr Kilos zu als ich zuvor abgenommen hatte. Das frustrierte mich natürlich noch mehr. Obwohl ich nicht mehr all zu unglücklich war und in dieser Zeit auch wieder viele schöne Momente hatte, blieb die Unzufriedenheit mit meiner Figur an mir haften und ich begann mich oft schlecht zu fühlen, wenn ich zu viele Süßigkeiten gegessen hatte. Als ich eines Nachmittags mal wieder alleine in der kleinen Bäckerei arbeitete und aus Langeweile zu viele Süßigkeiten und zu viel Gebäck gegessen hatte, kam ich zum ersten Mal auf die Idee, mich zu übergeben. Ich erbrach und fühlte mich danach besser. Ungefähr einmal im Monat kam das zum damaligen Zeitpunkt vor, manchmal auch monatelang gar nicht. Etwa ein Jahr lang ging das so gut. Es hat mich und meinen Alltag nicht weiter beeinträchtigt.

Doch nach diesem besagten Jahr kam es zu großen Veränderungen in meinem Leben. Ich hatte die Schule beendet, einen privat sehr stressigen und belastenden Sommer hinter mir und zog von zu Hause aus. Ich hoffte auf einen Neuanfang in einer anderen Stadt und war froh die Probleme des Sommers hinter mir lassen zu können. Doch der Neuanfang entsprach so gar nicht meinen Vorstellungen. Ich lernte nicht die Leute kennen, dich ich gern kennengelernt hätte und auch das Studium entsprach mir ganz und gar nicht. Ich lernte zwar Jemanden kennen, den ich sehr mochte, doch dieser Jemand sah in mir nicht mehr, als ein Mädchen, dass alles für ihn tat und mit dem er schlafen konnte, wann er wollte. Das erinnerte mich stark daran, dass mein Exfreund mich auch nur noch dafür brauchte. Ich fühlte mich ungeliebter und einsamer als je zu vor. Und da ich Unglück mit dünn sein verband, dachte ich mir, wenn ich schon nicht glücklich sein kann, dann wenigstens dünn.

Ich erhoffte wohl insgeheim, dadurch die mir fehlende Zuneigung zu bekommen. Da ich in der neuen Stadt weder wirkliche Freunde noch andere Dinge hatte, denen ich nachgehen konnte, hatte ich genug Zeit, mich mit dem Abnehmen zu beschäftigen. Durch eine radikale Diät nahm ich schnell einige Kilos ab. Doch mit dem schnellen Abnehmen kamen auch die Fressattacken und so erinnerte ich mich daran, dass das mit dem Erbrechen ja schon einmal funktioniert hatte und begann, immer wenn ich zu viel gegessen hatte, zu erbrechen. Mal mehrmals die Woche, mal alle zwei Wochen… noch erbrach ich nur, wenn ich „ausversehen“ zu viel gegessen hatte. Doch dies geschah immer öfter. Einmal war ich ein paar Tage bei meiner großen Schwester, ihrem Mann und den Kindern zu besuch, dort fand ich mich mit einem Nahrungsmittelüberangebot konfrontiert. Es gab alles was ich gerne aß und ich war auch noch den ganzen Tag davon umgeben. Ich konnte mich nicht beherrschen, aß alles, was ich kriegen konnte und ging danach ins Bad und übergab mich. Ich fühlte mich zwar elendig, aufgequollen und dreckig, doch schaffte ich es, dies vor den anderen zu verbergen. „Dank“ der Kinder war immer Trubel und es fiel kaum auf, dass ich des Öfteren für eine halbe Stunde verschwand. Eines Abends, ich hatte mich den ganzen Abend mit Süßigkeiten, Brot und Joghurt vollgestopft, konnte ich nicht erbrechen. Es klappte einfach nicht. Da der Leidensdruck zum damaligen Zeitpunkt schon sehr groß war, begann ich zu verzweifeln. Ich stand gefühlte Stunden unter der heißen Dusche, zitterte und weinte. Ich wollte das Bad nicht mehr verlassen und mich der Verzweiflung hingeben, doch mir war klar, dass das nicht ging, da ich mich im Haus meiner Schwester befand. Die Kinder waren zum Glück schon im Bett. So fasste ich den Entschluss, mich meiner Schwester anzuvertrauen. Ich zitterte am ganzen Körper und weinte bitterlich, als ich ihr erzählte, dass ich glaubte, unter Depressionen und Bulimie zu leiden. Ihre Reaktion entsprach ganz und gar nicht der, die ich erwartet hatte. Ich hatte erwartet, dass sie mich trösten und mir helfen würde, nach Hilfe zu suchen. Doch so war es nicht. Sie nahm mich zwar in den Arm und tröstete mich, doch gleichzeitig spielte sie das Problem herunter und sagte, jeder käme im Leben mal an einen solchen Punkt. Das sei nur eine Phase, das würde wieder vorübergehen. Damit war das Thema für sie abgehakt. Sie hat mich nie wieder danach gefragt. Jetzt, eineinhalb Jahre später, glaube ich zu wissen, dass sie das gemacht hat, weil ihr ihre eigenen Probleme in dem Moment größer erschienen und sie sich nicht mit einem weiteren Problem belasten wollte. Sie wollte es nicht wahr haben. Damals versuchte ich ihr zu glauben und sagte mir, anderen Leuten geht es schlechter als dir, also reiß dich gefälligst zusammen.

Ich beschloss, nicht mehr zu erbrechen, mich selbst besser im Griff zu haben. Das klappte ein Dreivierteljahr ganz gut. Ich war zwar nach wie vor schrecklich einsam und lebte vor mich hin, doch „immerhin“ war ich dünn, und wurde immer dünner. Ich kann in diesem Dreivierteljahr gar keinen Tiefpunkt benennen, da die gesamte Zeit ein einziger Tiefpunkt war. Alles, womit ich mich beschäftigte, war mein Körper. Ich aß strikt nach einem von mir selbst erstellten Plan, zählte Kalorien, mied verschiedenste Lebensmittel, sagte Verabredungen aus Angst vor dem Essen ab, verzweifelte, wenn mein Plan mal nicht aufging und verlor jegliche Freude am Leben. Wenn die nicht schon viel früher verloren ging… Ich verkroch mich in meinem Zimmer und verließ es lediglich, um exzessiv Sport zu treiben, oder stundenlang im Supermarkt nach den „richtigen“ Lebensmitteln zu suchen. Irgendwann im Frühjahr begannen immer mehr Menschen mir zu sagen, ich sei zu dünn und manchmal fühlte ich mich auch so. Ich war schwach, müde und fror ständig. Doch ich bekam auch viele Komplimente für meinen „neuen“ Körper, die ich insgeheim sehr genoss. Ich befand mich in einem Zwiespalt. Einerseits wusste ich, dass ich inzwischen zu dünn und mein Verhalten krank war, doch andererseits gefiel mir die Aufmerksamkeit, die ich dadurch bekam. Als dann im Herbst der Umzug in eine wieder neue Stadt und das neue Studium bevorstanden, begann ich Hoffnung zu schöpfen, dass mir der Neuanfang helfen könnte, mein Leben wieder in den Griff zu bekommen. Die erste Zeit klappte das auch ganz gut. Ich orientierte mich, was das Essen anging, an meiner Mitbewohnerin und langjährigen Freundin Hanna. Insgeheim zählte ich zwar noch Kalorien und beschäftigte mich viel mit dem Gedanken an Essen, doch ich aß relativ normal und trank auch mal mit Freunden Alkohol. Ich nahm zwar einige Kilo zu und mein Gewicht befand sich wieder im gesunden Bereich, aber so richtig glücklich war ich nicht. Mein Exfreund nutze mich weiter aus, was mein Unglück förderte und somit auch die Essstörung.

Ich fühlte mich immer noch leer und ungeliebt. Das Einzige, was mich glücklich machen zu schien, war Essen. Und so aß ich. Wenn meine Mitbewohnerin nicht da war plünderte ich all meine Vorräte und stopfte mich damit voll, bis ich Bauchschmerzen hatte. Dann erbrach ich. Ich schämte mich unendlich doll und sagte mir, dass ich ab jetzt damit aufhören und strikt Diät halten werde. Doch der Drang zu „fressen“ kam manchmal so plötzlich, dass ich aufsprang und zum Supermarkt rannte, um mir Essen zu kaufen, welches dann später in der Toilette laden sollte. Diese Anfälle kamen zeitweise täglich, dann wieder ein paar Tage, manchmal sogar Wochen, nicht. Wenn ich es schaffte mich zu beherrschen… Doch auch in den Phasen, in denen ich mich besser unter Kontrolle hatte, war mein Kopf voller kranker Gedanken. Selbst wenn ich mit Freunden unterwegs war, drehten sich meine Gedanken nur ums Essen und meinen Körper. Ich verglich mich ständig mit anderen und dachte, alle anderen seien glücklicher als ich und hätten wohl kaum solche Probleme wie ich. Manchmal kam der Drang zu fressen so plötzlich, dass ich Partys ohne irgendjemanden „tschüss“ zu sagen verließ, nur um schnell nach Hause zu kommen, um mich mit Essen vollzustopfen. Ich hatte schon längst verlernt, einfach zufrieden zu sein und den Moment zu genießen, egal was ich tat oder nicht tat.

Ich weiß nicht genau, wie es dazu kam, doch nach meiner letzten Fressattacke vor einigen Tagen habe ich beschlossen, dass es so nicht weitergehen kann. Ich will wieder leben. Ich will lernen, den Moment zu genießen und einfach glücklich zu sein. Dass das nur ohne Essstörung geht, steht außer Frage. Ich weiß, dass das ein langer Weg wird, doch ich weiß auch, dass er sich lohnen wird.

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