Über die Chance hinter der Sucht
„Simone, ich habe vor einigen Monaten einen Blogpost mit meinem vollen Namen kommentiert, kannst du den bitte löschen? Denn wenn man meinen Namen bei google eingibt, erscheint dort dieser Kommentar auf Seite 1 und das ist total blöd, falls mal ein Personalverantwortlicher via Internet Nachforschungen betreibt.“
Ich bin dieser Bitte natürlich nachgekommen, denn das Thema Essstörungen ist etwas Persönliches und jede Betroffene muss selbst entscheiden können, ob und wie weit sie das Thema öffentlich macht.
Andererseits habe ich darüber nachgedacht, warum wir zu einem gewissen Zeitpunkt unsere um jeden Preis geheim halten wollen und welche Folgen das für uns und auch für unsere Umgebung hat.
Denn auch wenn die Essstörungen persönlich sind, beeinflussen sie – zumindest indirekt – auch unser gesamtes Umfeld. Haben wir z. B. im Job gerade mal Fressdruck und sind mit dem inneren Kampf von nachgeben oder weiterkämpfen beschäftigt, können die Essstörungen durchaus unsere Konzentration und somit unsere Arbeitsleistungen negativ beeinflussen. Essstörungen sind wie Kraken, die ihre Arme in sämtliche Bereiche unseres Lebens ausstrecken und sie mal mehr und mal weniger fest umzingeln.
Ich habe das Gefühl, dass das Thema Essstörungen zwar deutlich mehr in die Öffentlichkeit gerückt ist, aber leider häufig ein falsches Bild geschaffen wird. Aber wer, wenn nicht wir, die (ehemals) Betroffenen sollen dieses Bild gerade rücken?
Ich wünsche mir mehr Normalität im Umgang mit dem Thema Essstörungen. Ich wünsche mir, dass die Essstörungen als das gesehen werden was sie sind:
Die Chance hinter der Sucht
Denn sie zeigen dir, dass etwas in deinem Leben nicht richtig läuft. Und die Anzahl der Frauen (und Männer) mit Essstörungen zeigt, dass in unserer Gesellschaft etwas nicht richtig läuft. Denn obwohl wir im materiellen Überfluss leben, sind wir emotional am verhungern.
Und das trifft nicht nur auf Essgestörte zu. Sucht hat so viele Facetten und fängt häufig ganz harmlos an. Außerdem hat fast jeder Mensch süchtige Tendenzen, denn Sucht beginnt nicht erst, wenn man schon knietief in der Sch*** hängt, sondern viel früher.
- Da gibt es die Frau, die sich ständig neue Klamotten kauft,
- da gibt es den Mann, der stundenlang am PC klebt,
- da gibt es den Teenager, der heimlich raucht,
- da gibt es die Mutter, die Abend für Abend erschöpft auf’s Sofa fällt und zur Schokolade greift
- da gibt es den Vater, der immer häufiger nach dem frustrierenden Job in der Kneipe gesehen wird
- und und und …
Was alle diese Menschen gemeinsam haben ist eins:
Sie sind auf der Flucht. Auf der Flucht vor sich selbst, vor ihren Gefühlen.
Daher meine Bitte an euch: Nehmt eure Essstörungen sehr ernst, aber hört auf, euch deswegen zu schämen und euch selbst zu verurteilen. Natürlich sollt ihr nicht mit einem Schild rumlaufen, auf dem steht “Ich bin essgestört” und das geht auch keinen Arbeitgeber etwas an. Aber es geht euch etwas an, ihr müsst euch verstehen. Hört auf zu kämpfen, hört auf zu fliehen, bleibt stehen und hört zu. Fühlt diese verdrängten Gefühle, die aus dem Glaubenssatz entstanden sind, den wir alle in uns haben: „Ich bin nicht gut genug.“ Nur wenn ihre seine Ursachen kennt, werdet ihr euch verstehen und könnt diesen inneren Krieg beenden. Und wer innerlich in Frieden und Freiheit lebt, der überträgt das auch auf seine Umgebung.
Kannst du die Chance hinter der Sucht erkennen?
lebenshungrige Grüße
Simone