System, ich hab dich durchgekaut

Sehr geehrtes System,

ich bin nicht das Problem. Und das muss endlich mal gesagt werden.

Denn ich habe es endgültig satt, mich als eine problematische Dauerbaustelle zu sehen, auf der es ständig etwas zu tun gibt.

Bis vor Kurzem war mir nicht bewusst, wie sehr ich noch immer in Teilen von dir gefangen war. Gutgläubig und blauäugig habe ich mich in dein Netz begeben. Nur um mich anschließend hilflos zappelnd genau dort wiederzufinden.

Doch diese klebrigen Fadengebilde sind harmlos gegen einige der mentalen und emotionalen Hochsicherheitsgefängnisse der Frauen, die ich während der letzten 20 Jahre kennengelernt habe.

Frauen, die sich selbst und ihr Leben zum Kotzen finden – und die genau das auch tun. Einerseits wollen sie sich dir – im Gegenzug für Aufmerksamkeit und Anerkennung – unterordnen, andererseits wollen sie gegen dich rebellieren. Ihr Körper ist das Schlachtfeld eines Kampfs, bei dem es keine Gewinnerin geben wird.

Oder Frauen, denen ihr Leben regelrecht die Kehle zuschnürt. Während ihnen gleichzeitig alles so schwer im Magen liegt, dass sie die Nahrungsaufnahme verweigern. Die scheinbare Kontrolle über den eigenen Körper spiegelt die Unterwerfung, die du immer wieder einforderst.

Und Frauen, die alles, was ihnen im Leben widerfährt, schlucken und die deshalb nicht nur im übertragenen Sinne alles in sich hineinfressen. Sie sind vollgestopft mit deinen Erwartungen, denen sie nicht entsprechen können. Und gleichzeitig fühlen sie sich oft so leer.

Was all diese einzigartigen Frauen vereint, ist ihre Abhängigkeit von dir. Sie versuchen zu gefallen, zu entsprechen, hineinzupassen, gut genug zu sein. Sie wollen sich verändern und richtig für dich werden. Aber nicht sie sind falsch. Du bist es, wertes System.

Doch du wirst dich nicht freiwillig ändern, denn das würde dein Überleben gefährden, dich durchrütteln, deine Grundfesten ins Wanken bringen.

Du brauchst uns klein, unsicher und abhängig.

Wer permanent in Angst und Sorge lebt, wer ständig in Alarmbereitschaft ist, kann selten konstruktiv denken, geschweige denn handeln. Nur so bleibst du mächtig – und wir kontrollier- und manipulierbar. Unsere Unterwerfung ist es, die dein Überleben gewährleistet.

Du bist der Parasit, der ungehindert in uns eindringen konnte. Und zwar zu einer Zeit, in der wir dir nichts entgegenzusetzen hatten. Dann hast du dich so erfolgreich in uns ausgebreitet, dass du gar nicht mehr tätig werden musst. Diese Aufgabe hat längst unser eigener Kopf für dich übernommen. All deine Ge- und Verbote, deine Regeln, wir hören sie in uns und halten sie zu oft für unsere eigenen Gedanken.

Du machst uns allen Probleme, während du gleichzeitig nur durch uns alle bestehen kannst. Wir tragen also eine Mitverantwortung, ja. Aber wir sind nicht schuld.

Mit Verlaub, liebes System, ich finde dich zum Kotzen. Und ich finde es zum Kotzen, dass dein paradoxes Parasitentum das Leben so vieler Frauen regiert.

Dein Problem ist jetzt, dass ich mich nicht mehr selbstzerstörerisch über der Kloschüssel auskotze. Sondern ich gebe den enormen Druck, unter dem so viele Frauen stehen, durch die folgende Frage an dich weiter:

Was passiert, wenn wir nicht mehr uns selbst, sondern dich zu unserer problematischen Dauerbaustelle erklären?

Mind me, System.

MindMuse Simone