Bauch, Beine, Po: Der Sommer(s)hit 2024

Musik spricht mich (emotional) sehr an. Vor allem liebe ich an Tönen, dass sich mein Körper zu ihnen bewegen kann. Und zwar ohne meinen Kopf. Ich denke nicht über das Tanzen nach, mein Körper tanzt einfach. Deshalb setze ich das Tanzen oft als eine Entspannungsmethode ein, die mir zudem auch noch unglaublich viel Spaß macht. Ganz bewusst habe ich nie einen Tanzkurs gemacht oder irgendwelche Choreografien eingeübt. Denn ich wollte und will mir dieses „Körper-gesteuerte“ Tanzen unbedingt erhalten.

Auch kann ich mir in Verbindung mit einer Melodie Texte sehr gut merken. Und ich bin anfällig für Ohrwürmer. Allerdings kann nahezu jedes Lied bei mir zum Ohrwurm werden. Wenn ich ein Lied höre, ist also die Chance groß, dass ich es (in meinem Kopf) singe.

Daraus machen sich meine Kinder oft einen Spaß. Wenn ich mich in unserem Wohn-Essbereich aufhalte, verbinden sie ihr Smartphone mit der dort stehenden Bluetooth-Box und beschallen mich mit irgendeinem Song. Sie müssen das Lied nur anspielen, ein paar Takte reichen schon.

Und besonders gerne wählen sie die Art von Partysongs, die – nun sagen wir mal – unkonventionelle Texte haben. Denn die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass sie mich im weiteren Verlauf des Tages genau diese Lieder singen hören. Und das findet der Nachwuchs ausgesprochen lustig.

Gestern habe ich gelesen, dass der Sommerhit 2024 gekürt wurde, „Bauch, Beine, Po“ heißt und von Shirin David kommt. Und ich habe mich gewundert, dass ich das Lied nicht kenne und dass mich noch keiner meiner Jungs damit berieselt hat. Also habe ich mir das Video auf YouTube angeschaut.

Für mich hat der Song kein großes Ohrwurmpotential, der Musikstil spricht mich einfach nicht an. Aber das ist natürlich Geschmacksache und ich bin generell kein (Deutsch)-Rap-Fan. Und sowieso gehöre ich – rein altersbedingt – nicht unbedingt zur Zielgruppe von Shirin David.

Doch die Botschaft dieses Songs und die Darstellung im Video sind es, die mich zu dieser KostProbe inspiriert – oder eher genötigt – haben. Denn Song und Performance zeigen für mich die „perfekte“ Doppelmoral, mit der wir heutzutage sehr häufig konfrontiert werden. Und die besonders für unsichere, jüngere Mädchen und Frauen gefährlich werden kann.

Worum geht es in dem Song? Na ja, wie der Titel schon vermuten lässt, sollen wir in den „Gymmy gehen, um skinny zu werden“. Denn „skinny“ bedeutet angeblich, dass wir dann „perfekt“ und „sexy“ sind und uns selbstbewusst fühlen können und dürfen. Und diese Botschaft ist leider ein altbekannter Hut.

Denn ja, wenn wir uns bewegen ist das gut für uns und tut uns auch gut. Aber wir müssen nicht skinny sein – was scheinbar mal wieder Trend ist, weil angeblich auch die Kardashians dünner als gewohnt sind – um uns selbstbewusst fühlen zu dürfen und/oder können. Und vor allem werden viele Frauen nicht automatisch skinny, wenn sie sich bewegen. Sondern nur dann, wenn sie hungern. Und der Weg vom Hungern zur Essstörung ist kurz.

Besonders absurd finde ich – und zwar so absurd, dass ich schon wieder darüber lachen möchte – dass Shirin David unzählige Schönheitsoperationen hinter sich hat. Sie „verkauft“ uns also ihren Barbie-ähnlichen, „skinny“ Körper als Ergebnis eines Bauch-Beine-Po-Workouts, während ein Großteil ihrer Optik das Resultat vieler Stunden auf dem OP-Tisch ist. Und Teile des Musikvideos sind dabei so „sexy“, dass sie problemlos in einem Softporno untergebracht werden könnten. Alles Satire, behaupten einige, wenige.

Ja, Shirin steht zu ihren Operationen und sie bezeichnet sich selbst als Feministin. Auch hat sie sich an diversen Stellen schon offiziell für andere Frauen eingesetzt. Doch rechtfertigt das die Botschaft dieses Songs?

Für mich nicht. Ich empfinde das Ganze als ein „perfektes Beispiel“ von Doppelmoral. Einer Doppelmoral, die ich bei einigen, in unterschiedlichen Branchen erfolgreichen Frauen, beobachte. Und mit Doppelmoral meine ich die folgende Botschaft: „Hey, ich bin zwar immer perfekt gestylt und die plastische Chirurgie ist mein zweites Zuhause, aber liebe und akzeptiere du dich, wie du bist, denn ich bin eine Feministin, die andere Frauen unterstützt.“ Really?

Diese Frauen unterwerfen sich einem Schönheitsideal oder sie kreieren es sogar selbst, sie präsentieren sich als „fuckabel*“ und sagen dann: „Hey, ich bin erfolgreich und mache, was ich will!“ Ehrlich? Ich kann nicht so recht glauben, dass eine Frau, wirklich nur weil sie es für sich selbst will, einen Haufen Geld und Zeit investiert und Schmerzen und Risiken in Kauf nimmt.

Während früher die Botschaft lautete: „Sei schön und sexy, dann findest du einen erfolgreichen Mann und wirst glücklich sein“, lautet sie heute zu häufig: „Sei schön und sexy, dann kannst du selbst erfolgreich und glücklich sein“.

Warum steckt dieses „um jeden Preis gewollt werden wollen“ noch immer in so vielen Mädchen und Frauen drin? Denn es hat, abgesehen von all der Zeit, dem Geld, den Schmerzen und Risiken, die Frauen auf sich nehmen – eine tragische Kehrseite, die ich schon häufig beobachtet habe: Wer extrem auf seine Oberfläche fixiert ist, landet meistens in oberflächlichen Beziehungen.

Deshalb, sorry, liebe Shirin, selbst wenn meine Jungs deinen Song noch als Beschallungsmöglichkeit entdecken, werde ich mir das Singen verkneifen. Aber vielleicht liegt das auch daran, dass ich womöglich eine der „ugly bitches“ bin. Denn das sind ja laut deiner Aussage immer diejenigen, die meckern. Der scheinbare Neid der angeblich Hässlichen als Totschlag-Argument ist ja leider auch nichts Neues. Schade finde ich allerdings, dass du selbst auf die Kritik deiner wirklichen Fans nicht bzw. genau so reagierst.

Doch der Algorithmus hat mich – auf eine ganz andere Art – mit diesem Song amüsiert. Denn er hat mir ein Video des großartigen Martin Fischer (einer der Rhabarberbar-Typen) vorgeschlagen. Und Marti präsentiert „Bauch, Beine, Po“ in fünf anderen Musik-Styles. Und die finde ich – rein musikalisch betrachtet – alle besser als das Original. Mal ganz abgesehen davon, dass mich Martis unglaubliches Talent und die Freude, mit der er tut, was er tut, immer wieder begeistern.

Und falls du jetzt ein Gegengift zu „Bauch, Beine, Po“ möchtest, dann hör dir doch mal „Schöne Gefühle“ von Kim Hoss an.

MindMuse Simone

*Der derbe Begriff „fuckability“ stammt aus der Filmbranche und beschreibt den Wert einer Frau, den sie durch ihre sexuelle Attraktivität für ein männliches Publikum hat.