(Kaffee)Filter

In meinem Magic Room, auch bekannt als Arbeitszimmer, gibt es zwei Schreibtische. Beide stehen an gegenüberliegenden Wänden, sodass ich quasi dazwischen sitze und mit meinem Stuhl von einem Tisch zum anderen rollen kann. Der eine Schreibtisch ist überwiegend zum Arbeiten, auf ihm steht mein Computer. Der andere ist eher eine Art Experimentier- und Basteltisch. Auf ihm herrscht oft ein Chaos aus Farben, Papieren, Stoffen, Stiften und anderen Materialien. Beide Tische, bzw. beide Tätigkeiten, sind für mich gleich wichtig. Der Kreativtisch dient als Ausgleich für den Arbeitstisch. Und dieser Ausgleich ist eine der Voraussetzungen dafür, dass das Arbeiten am Arbeitstisch stattfinden kann.

Denn auch wenn ich keine (Ess)Probleme mehr habe, so habe ich doch noch immer Tendenzen, zu viel zu denken und mich in unguten Gedankenkreisläufen wiederzufinden. Doch ich habe mich regelrecht darauf trainiert, mir dessen zeitnah bewusst zu werden. Und sobald das der Fall ist, verlasse ich entweder den Raum und mache erst mal etwas ganz anderes. Das kann ein Spaziergang oder auch Hausarbeit sein. Entscheidend ist, dass es eine eher körperliche Tätigkeit ist. Oder ich wechsele die Seite und mache irgendetwas an dem Kreativtisch.

Grundsätzlich brauche ich täglich mehrere Momente, in denen ich intensiv nach Innen blicke. Und ich benötige jeden Tag körperliche und kreative Ausdrucksmöglichkeiten. In Bezug auf die Kreativität lasse ich mich gerne von anderen Kreativen inspirieren. Doch auch das kann so seine Tücken haben. Nämlich dann, wenn ich – unbewusst natürlich – alte Denk- und Verhaltensweisen auf Neues anwende. Und das konnte ich heute Morgen beim Meditieren – einer der Momente, in denen ich intensiv nach Innen blicke – klar sehen.

Denn vor einigen Tagen habe ich einen YouTube-Kanal entdeckt, der mich total angesprochen hat. Und voller Begeisterung klickte ich mich durch viele Videos. Irgendwann habe ich mich an meinen Kreativtisch gestellt und – mit dieser Inspirationsquelle im Kopf – angefangen, etwas zu erschaffen. Und innerhalb kürzester Zeit kam der Frust und die Unzufriedenheit. Denn das, was ich machte, sah anders aus und gefiel mir weniger gut. Also habe ich aufgehört.

Aber im Gegensatz zu früher habe ich den wahrgenommenen Frust und die Unzufriedenheit nicht dazu verwendet, meinen Ur-Glaubenssatz zu nähren. Ich habe mir nicht eingeredet, dass es ja logisch ist, dass ich es nicht so toll kann und dass mein Werk allein deshalb Mist sein muss, weil es von mir ist. Sondern ich habe Abstand zwischen mich und die Sache gebracht, um mir die Möglichkeit zu geben, das Erfahrene zu verdauen, es anders betrachten zu können.

Das ist heute während der Meditation passiert. Ich konnte sehen, dass ich innerlich ins Ungleichgewicht geraten war. Denn ich war nicht mehr inspiriert, ich hatte begonnen, zu kopieren. Unbewusst erwartete ich von mir, dass meine Ergebnisse so aussahen, als hätte die andere Person sie gemacht. Und als ich das begriff, konnte ich innerlich nett mit mir über mich lachen. Ich war mal wieder in eine altbekannte Falle getreten. Na und?

Daraufhin erschien das Bild von Hand-gefiltertem Kaffee vor meinem inneren Auge. Und dazu folgende Erklärung: “Du hast das Wasser durch den mit Pulver gefüllten Filter laufen lassen und anschließend den Kaffeesatz in die Tasse gekippt. Und dann hast du dich gewundert, dass dir der Kaffee nicht schmeckt.” Ich finde, das ist ein interessantes Bild für Inspiration: Denn sie ist nur dann hilfreich, wenn wir das, was wirklich unseres ist, herausfiltern und den “inspirierenden Kaffeesatz” zurücklassen. Anders gefragt: “Was genau von der Inspirationsquelle ist es, was mich tatsächlich so begeistert, und wie kann ich das herausfiltern und zu meiner eigenen Ausdrucksmöglichkeit verwursten?”

Kopieren ist (Selbst)Betrug

Vor Jahren kopierte jemand diverse Texte von meiner Website und verwendete sie auf seiner eigenen. Und das war Betrug, beziehungsweise Diebstahl. Zwar ist es in Ordnung, sich von Beiträgen inspirieren zu lassen und dann seinen ganz eigenen Artikel daraus zu machen. Doch dazu braucht es Selbstvertrauen und Zeit. Ich muss mir zutrauen, dass mein eigenes “Produkt” auch gut werden kann. Und ich brauche die Bereitschaft, Zeit in diesen Prozess zu investieren. Alles andere ist (Selbst)Betrug.

Mir ist es auch schon häufig passiert, dass MindMates glauben, sie müssten quasi mein Leben kopieren, um ihren Weg gehen zu können. Und das ist natürlich unmöglich und somit Selbstbetrug, basiert aber letztlich auf Unsicherheit. Beispielsweise klagte mal eine MindMate darüber, dass sie sich im Urlaub von ihrem Partner eingeengt fühle, weil er alles immer mit ihr zusammen machen wolle. Sie hingegen hatte ab und zu das Bedürfnis, mal alleine zu sein, etwas alleine zu machen. Und gleichzeitig fühlte sie sich schlecht deswegen. Denn sie glaubte, man müsse eben im Urlaub immer alles zusammen machen. Und weil das nicht ihren Bedürfnissen entsprach, ging sie davon aus, dass wohl mit ihr etwas falsch sei.

Daraufhin erzählte ich ihr als Beispiel, dass mein Mann in unseren Frankreich-Urlauben jeden Morgen alleine auf den Markt zum Einkaufen geht, während ich im Bett liege und lese oder schlafe. Und sie antwortete resigniert: “Ja, aber das interessiert meinen Partner ja nicht und er würde das nie machen.” Was sie sich selbst damit suggerierte, war: “Weil er nicht so ist und weil er das nicht machen wird, werde ich nie Zeit alleine haben, was sowieso nicht in Ordnung ist.” Sie kippte den Kaffeesatz in die Tasse und machte so den Kaffee bitter und ungenießbar.

Also sagte ich zu ihr: “Lass uns doch mal Abstand schaffen. Und lass uns die Situation von der Emotion trennen. Um was geht es denn eigentlich? Was wäre, wenn du dir dein Bedürfnis nach Zeit mit dir alleine eingestehst und dir zugestehst, dass das nicht nur in Ordnung, sondern für dein mentales und emotionales Wohlbefinden notwendig, ist? Und was würde passieren, wenn du dieses Bedürfnis kommunizieren und dafür sorgen würdest, dass du Zeit für dich selbst hast?

Denn du hast zwei Möglichkeiten: Du kannst kopieren und dir einreden: Weil mein Partner nie auf den Markt gehen wird, kann sich meine Situation nicht ändern. Oder du lässt dich inspirieren von der Tatsache, dass andere Paare im Urlaub nicht alles zusammen machen und dass das völlig in Ordnung ist und es beiden gut damit gehen kann.”

Wenn wir unsicher sind, erscheint uns das Kopieren (unbewusst) als die bessere oder sogar einzige Lösung. Denn dabei liegt der Fokus mehr auf dem oder den anderen oder den Umständen als auf uns selbst. Und dafür dürfen wir (Selbst)Verständnis haben. Doch danach sollten wir unseren eigenen Kaffee kochen und den Kaffeesatz zurücklassen. Denn das macht das Leben deutlich genießbarer.