Tradwife: eine Frau, deren Job es ist, so zu tun, als hätte sie keinen.

Bist du schon mal mit dem Tradwife-Trend in Berührung gekommen?

Der Begriff Tradwife bzw. Tradwives (plural) ist ein neu geschaffener, sprachlicher Ausdruck, der als Kurzform für „traditional wife“, also „traditionelle Ehefrau“ steht. Einige Frauen in der westlichen Welt bezeichnen sich selbst als Tradwife. Sie präsentieren ihr Leben auf Social-Media-Plattformen und verkünden dort, dass sie sich bewusst für ein Leben entscheiden, welches traditionellen Geschlechterrollen entspricht. Ein Tradwife verzichtet also (angeblich) auf eine berufliche Karriere und propagiert ein Leben als Mutter und Hausfrau, gern im Stil der 50er Jahre.

Warum es trendy ist, ein Tradwife zu sein

Meiner Meinung nach konnte der Tradwife-Trend nur entstehen, weil viele Frauen ernüchternd feststellen mussten, dass sie eben doch nicht alles haben können. Oder anders gesagt: Wir können nicht Haushalt, Kinder und Job vereinbaren, wenn wir keine Hilfe haben. Das sollte eigentlich logisch sein und ist auch gar nicht schlimm. Doch viele Frauen haben den Anspruch an sich selbst, alles alleine machen zu müssen.

Und dieser Anspruch wird auch gesellschaftlich oft unterstützt: „Du wolltest doch Gleichberechtigung, jetzt darfst du auch arbeiten, also sieh zu, wie du damit klarkommst.“ Wenn Frauen an diesem unrealistischen Anspruch festhalten, zahlen sie oft einen hohen Preis dafür: Der Dauerstress und die Selbstzweifel frustrieren bestenfalls. Doch viele Frauen werden psychisch und/oder physisch krank durch die ständige Überlastung.

Übernimmt ein Mann einen Teil der Kinderbetreuung oder des Haushalts, wird er dafür gefeiert. Von einer Frau wird all das erwartet und sie wird kritisiert, wenn sie gewisse Dinge nicht tut. Oder hast du schon mal etwas von einem Rabenvater gehört? Den Begriff „Rabenmutter“ gibt es übrigens in vielen anderen Sprachen gar nicht. Und wenn es einen ähnlichen Begriff gibt, dann gilt er für beide Geschlechter.

Funktioniert die traditionelle Versorgerehe doch besser?

Der Tradwife-Trend kann daher tatsächlich wie ein Ausweg erscheinen: „Warum soll ich mir das antun?“ Die traditionelle Versorgerhehe hat doch früher auch funktioniert. Also bleibe ich zu Hause und kümmere mich ausschließlich um den Haushalt und die Kinder. So sparen wir uns auch die Betreuungskosten und die Kosten für die Putzhilfe. Und ich kann selbst für meine Kinder da sein.“

So weit, so gut. Sofern sich jede Frau, die sich dafür entscheidet, der Tatsache bewusst ist, dass sie sich in ein (finanzielles) Abhängigkeitsverhältnis begibt und im Falle einer Trennung wahrscheinlich schlechter dasteht als der Alleinverdiener.

Belohnung für Care-Arbeit?

Doch eine Tradwife argumentiert, dass ihr das nicht passieren wird, denn sie „kümmert“ sich ja besser um ihren Gatten, als eine arbeitende Frau es kann. Sie macht sich hübsch für ihn, sie bekocht ihn, sie bügelt seine Hemden und steht ihm jederzeit in jeglicher Hinsicht zur Verfügung.

Und jetzt wird es spannend.

Denn eigentlich ist eine typische Tradwife – im Gegensatz zu einer „traditionellen“ Mutter und Hausfrau – finanziell gar nicht (mehr) abhängig vom holden Gatten. Sie tut nur so. Denn – wie bereits erwähnt – geht mit der Definition einer Tradwife einher, dass sie aktiv in den sozialen Medien ist. Eine Tradwife ist also eine Influencerin. Und Influencerinnen mit einer gewissen Reichweite verdienen (viel) Geld.

Aber anstatt zu kommunizieren: „Ich habe mich dazu entschieden, mein Geld von zu Hause aus zu verdienen, indem ich Koch-, Back-, Haushalts- und Erziehungstipps via Social Media teile“, was ja völlig legitim ist, tut die typische Tradwife so, als dokumentiere sie einfach nur ihren Alltag. Man könnte also sagen, dass es der Job einer Tradwife ist, so zu tun, als hätte sie keinen Job (nötig). Oder – etwas härter formuliert: Eine Tradwife verkauft uns, wie viele andere Influencer auch, eine inszenierte Show als Realität.

EINNERE DICH AN DAS, WAS DU VERINNERLICHEN WILLST: Hierbei können dir meine NurtureNotes mit MindMessage helfen:

Tradwife: Immer perfekt aussehen, immer alles perfekt selbst machen

Ich bin durch die YouTuberin Hannah Alonzo auf das Phänomen Tradwife aufmerksam geworden. Im Rahmen von Hannahs sehenswerter Serie „Influencer Insanity“ (in Englisch) berichtet sie in einem Video über Tradwives. Und besonders ein Beispiel, das sie zeigt, empfinde ich als so absurd, dass ich es zunächst für Comedy gehalten habe. Doch dem ist nicht so. Im Gegenteil, es handelt sich um eine Tradwife mit Millionen von Followern auf Instagram und TikTok.

Konkret geht es um folgende Situation: „Mrs Tradwife“ stellt angeblich morgens fest, dass ihr Kleinkind Halsschmerzen hat. Und was macht eine gute Mutter in so einem Fall? Na ganz einfach: Mrs Tradwife wirft sich in ein Oscar-reifes Outfit, inklusive Hairstyling und Make-up und braut in ihrer sterilen High-End-Küche mal eben Halsbonbons.

Denn „zufällig“ hat sie keinerlei Medizin für das Kleinkind zu Hause, aber selbstverständlich frischen Ingwer, frische Beeren, frische Zitronen, frisches Was-auch-immer und natürlich eine Silikonform für Bonbons. All das kommentiert Mrs Tradwife mit einer gnädig-gelangweilten Stimme, als sei es das Natürlichste auf der Welt zu tun, was sie tut.

Zwar gibt es einige Zweifler in ihren Kommentaren. Doch ein Großteil des Feedbacks klingt bewundernd bis neidisch und sehr positiv im Sinne von: „Ach Mrs. Tradwife, ich wäre so gerne so perfekt wie du!“

Die Realität mit einem kranken Kleinkind

Mir blieb wirklich die Spucke weg als ich realisiert habe, dass sehr viele Fans und Follower tatsächlich glauben, dass diese Situation realistisch ist und genau so stattgefunden hat.

Als meine Kinder klein waren, hatten sie ungefähr alle acht bis zehn Wochen irgendeinen Infekt. Das ist in diesem Alter normal. Meistens begann es abends und es folgte eine unruhige Nacht. Denn meine Kinder haben sich – auch bei Erkältungssymptomen – meistens in der ersten Nacht erbrochen. Und wenn es blöd lief, sind sie nicht mehr bis ins Bad gekommen.

Das bedeutete dann, Kind saubermachen und umziehen, Bett neu beziehen, sich zum Kind legen und hoffentlich gemeinsam einschlafen. Am nächsten Morgen gab es dann Tee (tatsächlich häufig mit Honig, Ingwer und Zitrone) und trockenen Toast und – falls nötig – ein Schmerzmittel.

Dann ging es darum, den Tag zu organisieren. Wenn ich Telefon-Termine hatte, konnte ich die Kinder zu den Großeltern bringen. Und das ist, abgesehen von meinem relativ flexiblen Arbeitstag, ein Privileg, das viele nicht haben. Ansonsten ging es mehr oder weniger darum, den Tag gut zu überstehen.

Und wenn Kinder krank sind, wünschen sie sich meistens mehr (Körper)Kontakt zu vertrauten Personen als gewöhnlich. Und weil auch ich müde war, haben wir uns – wenn machbar – zusammen hingelegt und ausgeruht.

Mrs Tradwife vs meine Realität

Das Allerletzte, was mir in dieser Situation eingefallen wäre?  Mich perfekt aufzubrezeln und Bonbons zu basteln, die ich dem Kleinkind nicht mal geben kann. Denn es könnte daran ersticken. Abgesehen davon, dass das starke Erhitzen der genannten Zutaten einen Großteil der Vitamine und Nährstoffe killt.

Und wer kümmert sich währenddessen um das kranke Kind, wenn Mrs. Tradwife all das doch angeblich alleine rockt? Hairstyling, Make-up, Klamotten auswählen und anziehen, die Zutaten herbei suchen, die Bonbons herstellen und das Ganze auch noch filmen, bearbeiten und hochladen. Das kostet eine Menge Zeit.

Welches kränkelnde Kleinkind wartet geduldig stundenlang auf Halsbonbons, die es nicht lutschen darf?

Der folgende Kommentar unter dem Video nimmt diese Absurdität großartig auf die Schippe: „Mein Neugeborenes friert, deshalb gehe ich in den Stall und schere ein Schaf. Danach spinne ich die Wolle und wenn ich das Kleidungsstück fertig habe, feiert das Kind seinen dritten Geburtstag.“ Na ja, falls es nicht erfroren ist… .

Tradwife

Nicht das WAS ist ein Problem, sondern das WIE

Selbstverständlich ist nichts falsch daran, Halsbonbons selbst herzustellen. Doch der Kontext macht diesen Prozess problematisch. Warum hat Mrs. Tradwife das Ganze nicht so dargestellt:

„Ich möchte mal ausprobieren, ob und wie ich selbst Halsbonbons machen kann. Also habe ich mir ein Rezept herausgesucht und sämtliche Zutaten besorgt.“

Selbst wenn sie dann – ohne kränkelndes Kleinkind – overdressed in ihrer High-End-Küche gestanden hätte, wäre die Geschichte eine realistischere gewesen.

Aber das würde Mrs. Tradwife nicht so „mühelos perfekt“ erscheinen lassen. Und vielleicht gäbe es dann weniger (negative und positive) Kommentare. Doch der Algorithmus mag Kommentare und sorgt so für noch mehr Views und noch mehr Geld.

Wer hat die Zeit, weil er die (finanziellen) Mittel hat?

Denn während beispielsweise einige „Business- und Finanzcoaches“ uns ihren in der Realität gar nicht vorhandenen Reichtum via Social Media vorspielen, spielt eine Tradwife uns möglicherweise genau das Gegenteil vor. Sie mag zwar ihren Reichtum zeigen, aber der kommt angeblich vom treusorgenden Ehegatten. Und den konnte sie sich deshalb angeln, weil sie „so traditionell“ ist.

Doch es wird davon ausgegangen, dass unsere Mrs Tradwife mit ihrem Content mittlerweile ein ungefähres Monatseinkommen von ungefähr 200.000 USD generiert. Und selbst wenn es nur die Hälfte wäre, würde dieses Geld beispielsweise ermöglichen, dass ihr Mann seinen Job kündigen und für die Kinder da sein könnte.

Weiterhin könnte sie ein komplettes Filmteam sowie professionelle Make-up und Hairstylisten für ihre Videos bezahlen. Sie wäre in der Lage, einige Videos hintereinander zu filmen, sie von weiteren Profis bearbeiten zu lassen, um sie dann häppchenweise zu veröffentlichen. Und all das wäre völlig okay, wenn es transparenter wäre.

Denn noch mal: Diese Frauen haben sich ein profitables Business aufgebaut und das finde ich anerkennens- und bewundernswert. Doch auch das ist einfacher, wenn man tatsächlich – zumindest zu Beginn – einen Partner hat, der genügend Geld verdient, sodass man die Möglichkeiten und die Zeit hat, sich dieses Business aufzubauen.

Und wenn transparenter ist, welche Möglichkeiten einem das Geld, das man durch seinen Content ab einem gewissen Punkt verdient – im Gegensatz zu jemandem, der wirklich alles selbst macht – bietet.

Die Wirkung einer Tradwife

Der Tradwife-Trend wird sehr kontrovers im Internet diskutiert. Und das zeigt mal wieder, wie unterschiedlich wir interpretieren, was wir sehen. Ich teile die Meinungen mal in vier Lager ein:

  1. Die Bewunderer: Sie glauben, was sie sehen und wären gerne so perfekt wie eine Tradwife zu sein scheint.
  2. Die Kritiker: Sie prangern das traditionelle Rollenbild an, welches Tradwives idealisieren.
  3. Die Verteidiger: Sie sind der Meinung, dass eine Tradwife, genau wie jede andere Frau auch, leben und machen kann, was sie möchte.
  4. Die Moralischen: Ihnen geht es nicht darum zu kritisieren, was eine Tradwife macht, sondern wie sie es darstellt und welche Wirkung die Darstellungsweise auf die Zuschauerinnen hat.

Ich persönlich finde mich da ein wenig im zweiten und dritten, vor allem aber im vierten Lager wieder. Wirklich problematisch kann der Tradwife-Trend vor allem für die Bewunderer sein. Mag jemand den Content und wird dadurch inspiriert, wunderbar. Doch wenn eine Frau diesen Content (unbewusst) dazu „nutzt“, sich ihr negatives Selbstbild zu bestätigen und ihr unrealistisches Wunschbild zu nähren, in dem sie sich mit einer Tradwife vergleicht, kann es problematisch werden:

Warum schafft sie all das so mühelos und sieht dabei auch noch so toll aus?

Wieso bin ich so undiszipliniert und schaffe das nicht und warum sehe ich nicht so aus?

Wenn ich das auch schaffen und so dabei so aussehen würde, würden mich andere dafür bewundern und ich würde mich endlich gut fühlen. 

Ich muss mich also noch mehr anstrengen, um zu sein wie sie und um zu bekommen, was sie hat.

Und dann gibt es scheinbar auch solche Tradwives, deren Botschaft „Dein Ehemann hat immer recht.“ lautet. Spätestens hier wird es richtig problematisch. Denn das bedeutet im Umkehrschluss: „Dein Ehemann kann (mit dir und den Kindern) machen, was er will.“

Mein Fazit zum Tradwife-Trend

Dass auch nur eine Tradwife ihr Verhalten durch diese Internet-Diskussionen ändert, bezweifle ich.

Wir selbst können lediglich darauf achten, was wir konsumieren, dass wir (den Kontext) kritischer hinterfragen und darauf achten, welche Auswirkungen unser Konsum auf uns hat.

Und das gilt natürlich für Content jeglicher Art und nicht nur für eine trendige Tradwife.

Mind the context.

MindMuse Simone