Was macht dir mehr Angst:
Nicht gut genug zu sein oder zu gut zu sein?

Wir alle kennen unzählige Momente in unserem Leben, in denen der Ur-Glaubenssatz uns in die Quere kommt: Ich bin nicht gut (genug)!

Er äußert sich in diversen “Spielarten” die da lauten: Ich bin nicht dünn genug, ich bin nicht schön genug, ich bin nicht jung genug, ich bin nicht schlau genug, ich bin nicht (erfolg)reich genug, usw. Dieser Ur-Glaubenssatz, in all seinen unterschiedlichen Ausprägungen, wurde uns quasi in unserer Kindheit durch unterschiedliche Erlebnisse einprogrammiert.

Wir haben Situationen erlebt, in denen wir beschämt wurden, in denen wir alleine waren und Angst hatten. Aus diesen unschönen Erfahrungen haben wir unbewusst geschlossen, dass es an uns liegen muss, dass mit uns etwas nicht stimmt, dass wir nicht gut genug sind.

Denn sonst wäre all das Negative nicht passiert, oder?

Doch viele von uns haben einen weiteren Glaubenssatz verankert, der da lautet: Ich darf nicht zu gut sein! Auch er hat sich durch Erfahrungen in unserer Vergangenheit verfestigt. Wir haben Situationen erlebt, in denen wir aus der Menge hervorgestochen sind, in irgendeiner Form besser waren als andere, aufgefallen sind. Und wieder wurden wir beschämt, waren ängstlich und alleine, fühlten uns irgendwie schuldig.

Wieder einmal lag es an uns, oder?

Innere Zerrissenheit als Folge

Im Grunde ist der Glaubenssatz “Ich darf nicht zu gut sein!” auch eine Spielart des Ur-Glaubenssatzes.

Denn wenn ich “zu gut” bin, bin ich auch falsch, also wieder nicht “gut genug” im Sinne von “richtig”…

Doch wer einerseits Angst hat nicht gut genug zu sein und andererseits Angst hat, zu gut zu sein, fühlt sich innerlich zerrissen.

Einerseits glaubst du, dich stark anstrengen zu müssen, andererseits darf es bloß nicht zu viel sein. Beide Seiten zerren an dir.

Wenn ich nur wollte, wie ich könnte oder wenn ich nur könnte, wie ich will?

Rückblickend sehe ich meine eigene Schulzeit als Paradebeispiel für diesen (inneren) Konflikt.

Das Kind

Ich habe kaum Erinnerungen an meine Grundschulzeit und dafür gibt es sicherlich Gründe…

Denn das was ich noch weiß ist negativ, angst- und schambesetzt.

Das größte Unsicherheitsrisiko war eine bestimmte Lehrerin. Vor ihr mussten wir einzeln vorsingen und sie kritisierte öffentlich. Und machte jemand im Deutschunterricht einen Fehler, verunsicherte sie erst ordentlich, baute Druck auf und “wunderte” sich dann, dass wir unsere Fehler nicht gleich selbst korrigieren konnten. Und dann ließ sie uns schwitzen und schmoren…

Gefüttert wurde meine eigene Unsicherheit auch noch durch mein Elternhaus. Denn auf Grund einer chronischen Erkrankung wollte mich meine Mutter stets zu sehr schonen und mir zu viel abnehmen. Unbewusst vermittelte sie mir jedoch auch dadurch häufig: Du kannst es nicht (alleine)!

Nach dem Schulwechsel passierte dann im fünften oder sechsten Schuljahr etwas, dass mich die folgenden Jahre ebenfalls stark beeinflussen sollte. Ich schrieb die beste Deutscharbeit und wurde von der Lehrerin öffentlich erwähnt und gelobt. Ungläubig begann ich mich zu freuen. Bis ich die Reaktion einer guten Freundin wahrnahm. Im Gegensatz zu den meisten anderen freute sie sich nicht mit mir. Und das änderte sich auch in den nächsten Tagen nicht. Im Gegenteil, sie zog sich zurück und strafte mich mit Missachtung für meine Leistung.

Ich machte die Erfahrung, dass “zu gut sein” auch weh tut und gefährlich sein kann…

Der Teenager

Im Teenageralter wurde ich mir zum ersten Mal dieser inneren Zerrissenheit bewusst, ich konnte sie aber nicht so recht greifen, litt unter ihr. Und ich tat das, was viele in diesem Alter tun: Ich lenkte mich ab und konzentrierte mich auf mein Aussehen. In der unbewussten Hoffnung endlich Bestätigung (von Außen) zu bekommen und dadurch (innere) Sicherheit zu haben. Die Geburtsstunde meiner Essstörung…

Was meine schulischen Leistungen betrafen, so war ich einerseits mündlich kaum vorhanden, denn ich hätte ja etwas Falsches sagen können. Andererseits schrieb ich in einigen Fächern sehr gute Arbeiten ohne zu lernen. Hausaufgaben erledigte ich kaum oder vor dem Unterricht. Ich erinnere mich an eine konkrete Situation – wieder im Deutschunterricht. Unser Lehrer las den Aufsatz einer Mitschülerin vor und er war wirklich gut. Und in mir tauchte der Gedanke auf: “Wenn du das hier endlich mal ernst nehmen würdest, könntest du das noch besser!”

Doch im Grunde sorgte meine innere Zerrissenheit dafür, dass ich im Außen in der Masse unter ging und nicht auffiel.

Und war das nicht genau das, was sich mein verletztes und verunsichertes Inneres Kind wünsche?

Die Studentin

Je älter ich wurde, desto mehr erlaubte ich mir gut zu sein. Und umso größer wurden meine Versagensängste. Der höchste Abschluss den ich habe, ist vom Notendurchschnitt her auch der beste. Doch es ist auch der, der mich unglaublich viel gekostet hat.

Denn in dieser Zeit wuchsen auch meine inneren Widerstände. Und wieder fühlte ich mich zerrissen. Einerseits wollte ich endlich zeigen was ich konnte, andererseits hatte ich Angst zu versagen. Und dann gab es noch diesen Anteil, der gegen all das rebellierte, der keinen Sinn in den Inhalten und im Ablauf dieses Studiums sah.

In mir war ein Schlachtfeld und diese inneren Kämpfe wurde mit Hilfe der Essstörung ausgetragen…

Rückblickend kein Wunder, dass diese Zeit die Hochzeit meiner Essstörung war und ich damals auf Grund dieser Heftigkeit intensiv begann, mich mit mir und der Essstörung auseinander zu setzen.

Und es wurde dadurch auch die Zeit, in der meine Essstörung endlich verhungerte.

Die Lebenshungrige

Heute ist mir klar, wie und warum diese Glaubenssätze in mir entstanden sind und warum ich mich ab einem gewissen Zeitpunkt häufig so zerrissen gefühlt habe. Ich weiß, dass es nicht an mir lag.

Es lag an den Verletzungen und der Unsicherheit die ich durch meinen Sozialisationsprozess in mir hatte und die dazu führten, dass ich mich als “nicht richtig” wahrgenommen habe.

Nur dadurch konnte das Verhalten der Grundschullehrerin und meiner Freundin bei mir auf “fruchtbaren Boden” fallen.

Es geht hier nicht um Schuld.

Denn beide hatten offensichtlich ebenfalls ihre Themen:

Die Grundschullehrerin hinterließ nach ihrem Tod Schulden und Chaos, sie war kaufsüchtig…

Meine damalige Freundin wurde später magersüchtig…

Und ihr Verhalten hatte im Grunde nichts mit mir zu tun. Es ging um ihre eigenen Themen!

Doch das konnte ich als Kind nicht verstehen.

Und gerade in den Anfangszeiten von lebenshungrig gab es immer mal wieder Momente, in denen die “alte Programmierung” sich meldete.

Was glaubst du denn, wer du bist, du bist doch keine Expertin?!?

Wenn die Idee auf deinem Mist gewachsen ist, kann sie nicht gut sein!?!

Werde bloß nicht zu bekannt, dann kommen die Neider und machen dich fertig!?!

Wenn ich heute merke, das sich alte Ängste und Zweifel melden, wende ich mich immer an den Ursprung, an das Innere Kind.

Ich nehme meine Meditationshaltung ein, schließe die Augen, atme tief, gehe nach Innen.

Und dann schaue ich, was für ein Bild von mir als Kind in welcher Situation auftaucht.

Dann versichere ich diesem Kind, dass es nicht Schuld ist, dass es nicht falsch ist.

Ich zeige diesem Kind, dass ich es sehe und verstehe. Und ich tröste es und vermittele ihm Sicherheit.

Wenn es sich gut fühlt, verabschiede ich mich bis zum nächsten Mal.

Und diese Übung möchte ich dir heute ans Herz legen, es ist eine einfache und effektive Möglichkeit, deine Seele zu füttern.

Führe sie immer wieder durch und du wirst merken, dass du innerlich stärker und sicherer wirst.

Falls Meditieren nicht so dein Ding ist, schreibe diesem deinem Inneren Kind einen Brief. Und dann noch einen…

Oder finde eine andere Möglichkeit, die verletzten Anteile in dir zu heilen.

Denn dadurch entziehst du der Essstörung die Nahrung!

Entscheidend ist:

SELBSTERKENNTNIS: Wer bin ich und wie bin ich?

SELBSTVERSTÄNDNIS: Warum bin ich so geworden und was kann ich tun, um gesünder und glücklicher zu werden?

SELBSTANNAHME: Ich bin gut, wie ich heute bin! Ich bin heute da, wo ich sein soll um dorthin zu kommen, wo ich hin will!

lebenshungrige Grüße

Simone