Kathrins Genesungsweg Teil 4: Therapien

Therapie Nr. 1 mit 18 Jahren:

Meine erste Therapeutin lernte ich mit 18 Jahren kennen und diese Therapie war für mich der absolute Reinfall.

Leider – heute weiß ich, dass mir ein rechtzeitiger Schritt zu der Zeit viel Kummer erspart hätte. Ich ging zu ihr, nachdem ich ihre Adresse bei eine deutschlandweiten Therapie-Beratungsstelle bekam und weil ich schon immer das Gefühl hatte, Hilfe und Aufarbeitung belastender Themen nötig zu haben. Eine Essstörung hatte ich mir sogar schon zumindest teilweise eingestanden, ich hatte auch an anderen, familiären Themen zu arbeiten, mir erschien der Schritt gewagt, aber sinnvoll. Es begann damit, dass die Therapie-Sitzungen im kalten Keller ihres Eigenheims stattfanden. Ich fand den Raum scheußlich ungemütlich. Wirklich störend aber war, dass zwei Telephone neben mir auf dem Boden lagen, von denen eins oft, das andere nur ein paar Male während der Therapie klingelte. So war dann auch der einleitende Satz der Therapeutin, mit dem sie mich begrüße: „sie sehe überhaupt nicht ein, weshalb sie die hohen Telefonrechnungen ihrer halbwüchsigen Töchter zu tragen habe, irgendwann sei auch mal Schluss“. Nicht wissend welche Reaktion sie sich von mir erhoffte, schwieg ich. Es folgte nach kurzen Worten zu meiner Person ein Klingelton auf dem anderen Apparat und sie griff beherzt zum Hörer und unterhielt sich angeregt mit ihrer Klientin „ja hallo, Sabine – nein du störst gerade gar nicht. Wann willst du wieder zu mir kommen? – Du das passt prima, dann machen wir Therapie. Ja, ich freue mich auch wahnsinnig auf den Termin. Tschüssi!“

Hätte ich das Wort “Therapie” nicht vernommen, ich hätte geglaubt, das war einfach nur ihre beste Freundin Sabine. Irgendwann konnten wir unter leiser gestelltem Klingeln fortfahren, bzw. erst einmal beginnen. Nach ein paar einführenden Fragen zu meiner Familienkonstellation ging es dann los. Was würde meine Familie darüber denken, dass ich eine Therapie machen möchte? Ich antwortete „Das ist ja für mich und meine Sache, ich habe es meinem Vater (Situation und Umstände erläuternd) erzählt, aber darum geht es mir eigentlich nicht“ – sie sprang auf und mimte die Situation mit meinem Vater schauspielerisch nach. Noch immer nicht genug verstört versuchte ich mit meinen Problemen fortzufahren und es war alles sehr verwirrend. Ich muss zugeben, dass ich die Therapie weitermachen wollte, obwohl da überhaupt kein Vertrauensverhältnis existierte. Ich glaube, sie mochte mich nicht einmal ein bisschen. Trotzdem weiß ich, dass es wichtig für mich war es auszuprobieren, ich wollte die Essstörung auch eigentlich loswerden.

Als mich ein Familienmitglied eines Nachmittags von der Therapie abholen kam und das Schild am Haus erspähte, folgte auf der Stelle die Frage „du hast in der Therapie aber nichts von xy erzählt, oder?!“. Ich bejahte dennoch, denn lügen war noch nie meine Leidenschaft, und der Vorwurf kam prompt, sowie die Angst vor Verrat „wie bitte, nachher erfahren noch andere davon, das darf man nicht weitersagen, es gibt Querverbindungen auf der ganzen Welt und dann bin ich erledigt, Mensch Kathrin, das war ein Geheimnis“. Lustig, ich wollte meine Störungen mit der Therapie in den Griff bekommen und mein Umfeld macht sich Sorgen, dass irgendwelche Informationen über die Familie rumgehen, mal ganz abgesehen von der Schweigepflicht einer Therapeutin. Mein Grund nach den sechs Probestunden nicht weiterzumachen war dennoch ein anderer. Auch wenn das, was da im “Therapie-Keller” ablief phasenweise ziemlich komisch war (das konnte ich mit meinen 18 Jahren bereits humorvoll betrachten), es war dennoch ab irgendeinem Punkt für mich, nur für mich. Und es hätte mich irgendwann einmal weiter und in einen Konflikt mit meinem Umfeld gebracht. Es wäre zu Auseinandersetzungen gekommen. Ich dachte, wenn ich jetzt anfange mich um mich zu kümmern, weiterhin Therapie mache, wird etwas zerbrechen, ich werde in einen unausweichlichen Konflikt geraten mit meiner Familie und ich müsste da durch, vielleicht einst eine Entscheidung für mein Wohl und für den Konflikt treffen. Dazu war ich nicht bereit. Ich wusste, dass ich krank würde, vielleicht war mir das spätere Ausmaß der Essstörungen damals noch nicht bewusst aber dass ich mich, meine Gesundheit opfere war mir schon in etwa klar. Und ich habe diese Entscheidung getroffen, ich wollte aufhören mit der Therapie, noch bevor sie richtig angefangen hatte.

Therapie  Nr. 2 mit 21 Jahren:

Erst einige Jahre später als ich spürte, dass Beziehungsprobleme überhandnahmen und ich nicht wusste wie ich diese Themen alleine in den Griff bekommen sollte, entschied ich mich erneut für eine Therapie. Der betreffende Therapeut war in einer psychotherapeutischen öffentlichen Einrichtung angestellt und anfangs kamen wir auch mit der Therapie gut voran. Als ich mich allerdings von meinem damaligen Freund trennte und „frei“ war wurden seine übergriffigen Handlungen, teilweise stark sexuellen Anmachen und Bedrohungen so enorm belastend und unerträglich, dass die Störung in vollem Maße zurückkehrte und ich mir nicht mehr zu helfen wusste. In meiner Hilflosigkeit und Überforderung wollte ich wenigstens das noch mit ihm in der Therapie thematisieren, biss aber diesbezüglich auf Granit.

Es war natürlich schon Unfug, dass ich überhaupt bei ihm in Therapie bleiben wollte, ein gesunder Schritt wäre gewesen, sich zu lösen und eine seriöse Therapeutin nach der Erfahrung zu suchen. Aber ich hatte mich auf ihn eingelassen und er wusste bereits viel von meiner Geschichte, ich hatte einfach keine Kraft mehr weiterzusuchen und blieb. Da sprach ich diese Auswirkung ganz direkt an, denn ansehen konnte man mir das zu dem Zeitpunkt nicht, ich war normalgewichtig. Er war der unumstößlichen Meinung, dass Essstörungen gar nicht wirklich existierten, dass so etwas bei mir bestimmt nicht vorhanden sei und dass ich einfach „normal“ essen könne, dann würde es gut. Diese Verleugnung nahm ich an und versuchte alle themenbezogenen Gedanken einfach zu ignorieren und die für mich harte Trennung zu überleben. Die „Therapie“ konnten wir nicht weiterführen, er war nicht bereit mir zu helfen oder mich an einen fähigen Kollegen zu überweisen, bzw. mir wenigstens irgendetwas diesbezüglich zu empfehlen, weil es Essstörungen in dieser Form in seiner therapeutischen Auffassung nicht gab.

Ich bräuchte keine Therapie und damit sei das erledigt seiner Meinung nach. Aber das funktionierte nicht, je mehr ich die Essstörungen leugnete und normal zu essen versuchte, umso dramatischer wurde alles. Mir hätte damals ein tatsächliche Auseinandersetzung mit dem Thema geholfen, denn anders als noch in Teenagerjahren, wo mir vielleicht auch eine Auseinandersetzung mit dem Essen selbst und eventuellen Besonderheiten meiner Person, geholfen hätte, konnte ich das zu dem Zeitpunkt nicht mehr. Ich wurde nach allem süchtig und mein Essverhalten zwanghaft. Erst einige Monate später kontaktierte und suchte ich weiter nach einer Therapie, an einem Punkt angelangt, an dem ich nicht mehr wusste, wie es überhaupt weitergehen sollte und mir mein Leben so leer schien, dass ich allein keinen Ausweg mehr fand.

Therapie Nr. 3:

Es war zum ersten Mal eine Erfahrung die wohl dem eigentlichen Sinn einer Therapie entspricht, nach sehr wenigen Stunden ging es mir erstaunlich besser und meine Probleme wurden zumindest etwas leichter. Warum ich die Essstörungen immer noch nicht loswurde kann ich heute auf den Fakt zurückführen, dass ich die wichtigen Punkte konsequent umschiffte. Ich weiß, dass ich zu einer Heilung nicht bereit war und – nachdem ich erst umzog und dann die Stelle im Ausland annahm – die Essstörungen erst Jahre später nicht mehr ignorieren konnte, war ich am bereitwilligen Punkt angekommen mir durch eine Therapie helfen zu lassen.

Therapie Nr. 4 mit 27 Jahren:

Ich kam mit dem Ziel die Essstörungen loszuwerden in die Therapie. So klar war ich bei allen anderen Anläufen nicht. Interessant war, dass dies die teuerste und schwierigste Form war, die ich gewählt hatte. Ich war im Ausland, die Therapie fand dementsprechend auf einer Fremdsprache statt und musste von mir privat bezahlt werden. Ich weiß auch, dass die Therapie mehr als mein Auto gekostet hat, bin aber immer noch glücklich über diesen Schritt. Es war zum ersten Mal sehr effektiv, denn ich kapitulierte vor dem Essen und gestand mir meine Machtlosigkeit ein. Das half mir ungemein, endlich konnte ich hinter die Fassade schauen und mit Hilfe der Therapie rausfinden, woran es lag.

Mein Fazit

Grundsätzlich gab es bei allen Leuten, die ich besucht habe Dinge und Sätze, die mir bis heute nicht passen, aber ich habe mir diesbezüglich angewöhnt  nicht alle Aussagen auf die Goldwaage zu legen und nur das mitzunehmen, was mir hilft. Man kann mit keinem Menschen, auch keinem Therapeuten in der Therapie völlig konform gehen. Mir war erst nach über 10 Jahren mit den Essstörungen klar, dass diese Störung etwas ist, das etwas anderes verdeckte, ein unausgesprochenes Problem, das mein Leben symptomatisch beschwerte. Erst als mir das bewusst war und ich diesen Schritt ging, konnte das Problem angegangen und gelöst werden.

Vorher war ich der festen Überzeugung es handele sich um zwei Dinge, auch wenn ich den Begriff Essstörungen äußerlich schon annahm. Ich dachte dennoch, jetzt lösen wir erst mal das Gewichtsproblem und dann kann ich an die dahinter liegenden Probleme ran. Ich weiß heute, dass dieses Denken nicht weiterhilft. Das habe ich mit Hilfe von Simone und durch das Selbsthilfeprogramm begriffen.

Ich habe beobachtet dass die Essstörungen nicht zurückkommen, solange ich mich immer (jeden Tag!) um mich und meine Bedürfnisse kümmere und habe dadurch gesehen, dass mit meinem Gewicht nichts passiert, gar nichts. Wir können essen, das ist uns angeboren und eine gesunde natürliche Eigenschaft die uns ein perfekter Anzeiger ist dafür, wie viel wir brauchen.

Ich habe mich seither manchmal von Lebensmitteln ernährt, die in keinen Plan der Welt gehören würden und habe festgestellt dass auch dabei keine Einflüsse auf mein Gewicht entstanden, denn ich kann heute aufhören wenn ich satt bin und weiß, dass meine Probleme diesbezüglich psychisch waren. Ich habe durchaus etwas Pech gehabt mit einigen Therapeuten bzw Therapien und es gibt Sequenzen und Sitzungen die ich lieber nicht erlebt hätte, aber auch die haben mich letztendlich dorthin geführt, wo ich heute bin: Frei von der Essstörung.