Kathrins Genesungsweg Teil 3: Der erste Schritt

Der erste Schritt:

All diese Erkenntnisse haben etwas Interessantes in mir ausgelöst: Energie. Meist in Form von Wut. Zunächst Ärger über meine Ausgangssituation, dann über all das von mir ausgehaltene Leid, aber auch auf meine Liebsten und dass ich es nicht geschafft habe Grenzen für mich zu ziehen, sondern ich die Aggressionen über Jahre gegen mich gewendet habe.

Der Vorteil der enormen Wut: Ich wusste, dass es so nicht mehr weitergeht und spürte deutlicher, was mich kränkt, bzw. mich weiter krank macht. Ich versuchte die “Forschungsberichte” aus LEICHTER  zu führen und sah sehr klar, wann ich die heftigsten Fressanfälle hatte: Jeden Tag, sobald ich auf meiner Arbeit eine Pause hatte. Dann ging es meist weiter nach dem Motto „Wenn das eh schon passiert ist, ist es jetzt auch egal“. Da war kein genussvolles Essen in meinem Leben, es war nur geprägt von Gier, Verstecken und Scham. Ich bemühte mich nichts zu schönen und nach drei Tagen konnte ich aufhören mit den Aufzeichnungen. Es war offensichtlich, dass ich mit den Essstörungen die Unzufriedenheit und den Druck kompensierte.

Ich wollte dort an meinem Arbeitsplatz nicht sein, ich wollte lieber in einem anderen Bereich arbeiten. Ich hörte mit Hilfe meiner Therapeutin immer tiefer in mich hinein und erkannte lang erahnte aber nie realisierte Berufswünsche – Lebensentwürfe, die ich mir nie bewusst gemacht hatte und aus Angst nie gründlich durchdacht habe. Es war eine ganz bestimmte Sitzung, bei der mir klar wurde, dass ich ein Risiko eingehen muss, weil ich sonst nicht mehr aus dem Dickicht von Verantwortung herauskomme. Von dem Tag an, an dem ich beschloss (noch ohne konkretes Datum) meiner tatsächlichen Neigung nachzugehen hörte die Essstörung quasi wie von selbst auf.

Natürlich war da weitaus mehr passiert mit mir über Wochen: Es war die Therapie selbst, das Selbsthilfeprogramm, das Telefon-Mentoring, die bedingungslose Zuwendung zu meiner Person und dann der entscheidende Wendepunkt – weiter trotten oder anders leben. Ich entschied mich zunächst nur theoretisch für einen Neuanfang. Eigentlich entschied ich mich nicht einmal, die Entscheidung kam an jenem Montagabend wie von selbst während bzw. nach der Therapie zu mir. Ohne Probleme kann ich seit diesem Tag Taschen voller „suchtgefährdender“ Lebensmittel tragen, ich denke nicht mehr darüber nach und ich fresse nicht mehr. Diese Entscheidung hat viel in mir verändert, es war der erste konkrete Schritt raus aus meinen Essstörungen. Ich wusste nicht wie das alles im Detail aussehen sollte, hatte keine Ahnung was auf mich zukommt, aber mein Entschluss, es in einer recht waghalsigen Richtung zu probieren stand fest. Ich wollte da raus. Und auf einmal war ich das tatsächlich auch – zunächst nur theoretisch. Natürlich kamen dann neue Themen und viele weitere Schritte und auch neue Probleme auf mich zu…