Kathrins Genesungsweg Teil 6: Beziehungen
Wer die Menschen ändern will, beginne bei sich selbst!
Wohl wahr, nur ist der Punkt meist der, dass man sich über Jahre nicht sieht, insbesondere Menschen mit Essstörungen vermeiden jeden Blick, kritisch wie liebevoll, auf sich selbst. Ich habe fast immer nur auf andere geschaut, weil ich (unbewusst) eine Wirkung erzielen wollte. Ich habe viele überstürzte, aber auch langwierige Entscheidungen gefällt, weil ich im Gegenzug dazu geliebt werden wollte. Diese Rechnung ging halt nur nicht auf. Was dahinter steckt hat nichts mit echter Liebe zu tun, sondern mit Manipulation. In meinem Beispiel: Ich zog in eine andere Stadt, in der ich eigentlich nur Probleme und sehr viel mehr Stress, Kosten, keine Freunde etc. hatte – nicht etwa, weil ich meinen Freund so sehr geliebt habe, sondern weil ich mir daraus ganz klare Hoffnungen gemacht habe, dass ich für meine “Leistung” besser ankomme, je mehr Opfer, umso mehr Anerkennung.
Diese Rechnung hat aber nicht funktioniert, denn im Prinzip war mein Verhalten Manipulation. Ich sah mich selbst nicht als Kathrin, sondern die, die sogar ihre tolle Wohnung, die laufende Therapie, den stabilen Freundeskreis, das fast abgeschlossene Studium etc. aufgibt, nicht den Menschen, der aus Liebe zu ihrem Freund geht, nach außen klar, mir selbst konnte ich das nicht einmal eingestehen – es waren Anzeichen wahrer Aufopferung, für die ich im Gegenzug etwas erhalten wollte. Erst jetzt nach Jahren kann ich mein Verhalten (und der Umzug war nicht meine einzige “Beziehungsleistung”) reflektieren. Der Punkt auf den alles abzielt: Ich habe mich abhängig gemacht, vom Urteil anderer und von meiner Angst andere zu verlieren. Das ist pures Gift für die Essstörung, denn genau damit geben wir ihr Futter.
“Eine Essstörung ist auch immer eine Beziehungsstörung” , schreibt und sagt Simone öfter. Wie Recht sie hat! Denn hier zeigt sich (auch bei gesunden Menschen) ein wahrer Unterschied, zwischen denen, die vertrauen können und denen die ängstlich sind, klammern und alles tun würden, damit eine Beziehung, ein Job etc. stattfindet, denen, die Gefahr laufen sich selbst zu vernachlässigen und völlig aufzugeben. Ich gehörte ganz klar zu der zweiten Sorte. Ich neige dazu, meine Hobbies zu vernachlässigen, nur noch zu arbeiten, mein wahres Ich zu verleugnen und meine Persönlichkeit zu verlieren. Nicht nach außen, selbstverständlich. Ich habe immer ein großes repräsentatives Zimmer für mich, meine hunderte Dinge, aber im Kern weiß ich nun, dass das alles nicht ich bin. Das ist wichtig und ich brauche natürlich immer Platz für mich und ich brauche wahrscheinlich mein Leben lang auch mehr Dinge als andere Frauen, aber eigentlich steckte in mir die Sorge zu verlieren.
Der Widerspruch darin, ich war die Ganze Zeit dabei zu verlieren, mich selbst. Ich war abhängig von anderen und nicht von meinen Gefühlen, die das wichtigste sind, auf das wir bauen können. Die wahren Gefühle uns selbst gegenüber. Ich musste die letzten Wochen durch einen interessanten Entscheidungsprozess durch, vieles was sich mir anbot schillerte leuchtend und verführerisch mit einem Flüstern “hier geht es dir besser”. Aber es setzten glücklicher Weise Zweifel ein. Was habe ich, was will ich? Und ich habe in dieser Phase zum ersten Mal meinen Wert erkannt, echte Selbstliebe für mich entwickelt. Meine Reise zu mir selbst wird immer spezifischer und liebevoller. Das zeigt sich durchaus auch an Äußerlichkeiten, beginnt aber endlich bei mir und meiner ganz persönlichen Auffassung, dass ich alles tue, damit es mir gut geht. Erst dann kommt mein Mann, meine Eltern, Geschwister, engste Freunde, mein Arbeitsplatz.
Je mehr ich mich selbst liebe, umso weniger will ich nach außen gefallen – und das Obskure ist: Ich gefalle plötzlich viel mehr und vor allem, auch denen, die ich toll finde. Zum ersten Mal (und die Essstörungen sind ja nun ein gutes Jahr bereits aus meinem Leben verschwunden) kann ich für mich gesunde Grenzen ziehen und verliere dabei einen entscheidenden Punkt: Angst. Die Angst nicht zu gefallen schwindet, die Angst Menschen, die ich liebe, könnten – womöglich nach einer hitzigen Diskussion oder einem Streit, den ich dadurch vermeiden will – tödlich verunglücken, die Angst, dass man mich als Mensch ablehnt, wenn ich auf andere Menschen zugehe. Meine neueste Erkenntnis: Entscheidungen sollten nur aus guten Gefühlen, wie Hoffnung, Liebe und Vertrauen getroffen werden, nicht aus Sorge. Angst ist unser schlechtester Berater und eigentlich wissen wir das auch.
Was ich in den letzten Tagen für mich herausgefunden habe, mag vielleicht vielen hier schon bekannt sein, aber alle Reise fängt bei uns selbst an. Nicht bei Leistung, nicht bei akademischen Abschlüssen, nicht bei unserem Partner, der Beziehungstauglichkeit, sondern einzig und allein bei dem Punkt, wie sehr wir zu uns selbst stehen. Zu unseren Wünschen, Problemen, Ideen und unserem wahren Ich, das sich lohnt gesucht, anerkannt und ein Leben lang gepflegt zu werden. Und wie mein Zitat andeutet, erst wenn wir wirklich und ehrlich bereit sind an uns zu arbeiten und uns liebevoll uns selbst gegenüber verhalten, hat unser Umfeld eine wahre Chance sich uns zu nähern, sich ebenfalls zu verändern und eine Beziehung (welcher Art auch immer) zu leben, die zu uns passt, die satt macht.