Kein Therapieerfolg bei Magersucht?
Vor einigen Wochen bekam ich einen Anruf von einer magersüchtigen, jungen Frau.
Therapieerfolg?!?
Aufgelöst erzählte sie mir am Telefon, dass sie bis vor kurzem auf Grund ihrer Magersucht in Therapie gewesen sei, die Therapeutin jedoch die Therapie abgebrochen hätte. „Diese Therapeutin war mit mir beim Arzt und sonst wo; sie war fast ein Mutterersatz. Und ich habe sie manipuliert, ihre eine Unmenge an Mails geschickt und sie hat fast immer geantwortet. Bei unserem letzten Termin hat sie mir dann gesagt, sie sei noch nie einer so kranken Frau begegnet und das sie von jetzt an auf keinerlei Kontakt mehr von mir reagiert. Und das zieht sie auch durch. Ich schreibe schon seit Monaten E-Mails und sie antwortet mir einfach nicht.“
Für mich hat sich das so angehört, als hätte die Therapeutin lange Zeit keine gesunden Grenzen gegenüber ihrer magersüchtigen Patientin setzen können und dann keinen anderen Ausweg mehr gewusst, als die Notbremse zu ziehen und die Therapie sofort zu beenden. Diese Beziehung konnte nicht mit einem Therapieerfolg enden…
Sicherlich keine leichte Situation für beide Beteiligten. Und besonders tragisch, weil ich das Gefühl habe, dass die Magersucht die schwierigste aller Essstörungen ist. Denn Frauen mit Magersucht fühlen sich zu dick, wollen ihr Essverhalten kontrollieren und schaffen das meist auch. Der Bulimikerin und auch der Frau mit Binge Eating wird durch die Fressanfälle bzw. das Erbrechen gezeigt, dass sie keine Kontrolle mehr haben. Die Frau mit Magersucht will das oft nicht einsehen, denn in ihren eigenen Augen hat sie ja alles im Griff. Dass es zum Krankheitsbild gehört, ein völlig verzerrtes Selbstbild zu haben, interessiert sie lange nicht. Wenn sich also eine Frau mit Magersucht in Therapie begibt, hat sie ihre Sucht– zumindest teilweise – anerkannt. Und das ist ein erster wichtiger Schritt.
Was tun mit der Magersucht?
Diese Frau mit Magersucht war sicherlich keine einfache Patientin. Auch am Telefon merkte ich, wie sie mich sofort vereinnahmte und erwartete, dass ich ihr genau sage, was sie machen soll. Sie war sehr schnell bereit, ihre Verantwortung an mich abzugeben. Ich habe ihr gesagt, dass die Therapeutin meiner Meinung nach überfordert war und ihre eigenen Grenzen nicht gewahrt hat. „Aber was soll ich jetzt tun, diese Therapeutin reagiert einfach nicht auf mich.“ antwortete mir die Magersüchtige. „Ja“, sagte ich, „aber das kannst du nicht ändern und ich glaube auch, dass dieser Kontaktabbruch letztlich besser für euch beide ist, auch wenn das WIE doof gelaufen ist. Zu so einer Konstellation gehören immer zwei Menschen. Nimm dir doch mal eine halbe Stunde Zeit und schreibe auf, was du dazu beigetragen hast, dass diese unschöne Situation entstanden ist. Wie genau hast du z. B. manipuliert und warum? Denn dann ist die Chance größer, dass es mit der nächsten Therapeutin auch einen Therapieerfolg geben wird.“
Ob sie es gemacht hat, weiß ich nicht. Aber dieses Gespräch hat mir mal wieder vor Augen geführt, das eine Therapie auch schief laufen kann. Wenn ihr ebenfalls diese Erfahrung gemacht habt, bitte ich euch, schaut euch in Ruhe an, welchen Anteil ihr daran hattet. Dabei geht es nicht um Schuld, sondern um Verantwortung. Es hilft nicht, wenn ihr ständig mantraartig wiederholt: „Sie hätte aber…“ oder „Warum hat sie nicht…“ etc. Fragt euch ganz offen und ehrlich „was hätte ich anders machen können?“ Hättet ihr vielleicht früher Grenzen setzen und die Therapie beenden sollen? Wenn ihr das getan habt, dann sucht euch eine neue Therapeutin oder einen neuen Therapeuten. Leider gibt es auch in dieser Berufsparte – wie in jeder anderen – genügend schwarze Schafe. Aber das bedeutet nicht, das Therapie grundsätzlich bei Magersucht, Bulimie und Binge Eating nicht funktioniert. Es gibt sie, die Therapieerfolge! Ihr habt das Recht auf Hilfe, ihr müsst nicht alleine mit der Essstörung klar kommen.
Hast du auch schon mal schlechte Erfahrungen in der Therapie gemacht? Wie bist du damit umgegangen?
lebenshungrige Grüße
Simone