Die fünfundvierzigste Geschichte (d)einer Essstörung
Eine weitere mutige Frau, die ihre Geschichte mit uns teilt:
Ich bin 24 Jahre alt. Seit meinem 14. Lebensjahr habe ich nach Trennung meiner Eltern mit meinem Gewicht zu kämpfen. Hier ist ein Einblick in meinen Alltag:
Der Wecker klingelt, ich wache auf. Neben meinem Bett steht die Waage. Der erste Gang ist dort drauf. “Na toll, ich hatte weniger erhofft”… Ich gehe auf die Toilette, danach wieder auf die Waage. Es ist weniger, gut so. Ich habe ja noch meine Schlafkleidung an, ziehe sie aus und springe wieder auf die Waage.
Dann ziehe ich mich an und mache mich fertig für die Arbeit Und danach geht es wieder auf die Waage. Dieser Drang ist ständig da. Ich frühstücke und habe Angst, wieder schwerer geworden zu sein. Zur Kontrolle steige ich wieder auf die Waage. Die Zahl, die ich mit Kleidung und mit essen im Magen sehe, gefällt mir gar nicht. Also kommt die abführende Tablette ins Spiel. Damit dies schneller geht, nehme ich mehr als die Packungsbeilage empfiehlt. An die starken Krämpfe und Schmerzen habe ich mich schon gewöhnt und irgendwie gefällt es mir.
Es wirkt, danach gehe ich noch mal auf die Waage. Ich nehme die Bahn und da fängt schon mein nächstes Problem an: das Vergleichen! Ich sehe alle schöner, schlanker, größer oder sportlicher als mich. Egal wer es ist, aber diese Person ist in meinen Augen so viel besser als ich. Der Druck in mir steigt.
Ich komme auf der Arbeit an, ziehe mich um und es geht gleich auf die Waage. Sitzend an der Anmeldung betrachte ich jeden hereinkommenden Patienten und das Vergleichen geht weiter…
Und meine Kolleginnen, die weißen Hosen stehen denen so viel besser…
Es ist elf und ich habe kurz Zeit, um ein Brötchen zu essen. Das schlechte Gewissen klopft wieder an. Ich kippe ein Glas Wasser hinterher, damit das Brötchen gleich besser raus kommt. Dann mache ich mich auf den Weg zur Toilette. Ich stecke mir den Finger in den Hals und das ist ein befriedigendes Gefühl. Doch gleichzeitig schießen mir Tränen die Augen, mein Kopf wird rot, teilweise habe ich Luftnot. Ich fühl mich leichter doch das schlechte Gewissen das ich es wieder getan habe, dass ich schwach war, ist größer. Es darf keiner mitbekommen. Mein bester Freund ist die Zahnbürste.
Und schon bin ich wieder auf dem Weg zur Waage.
Es ist Mittagspause und ich bin mitten im Lebensmittelgeschäft. Ich will ein Salat kaufen, doch es gibt so viele leckere, bunte tolle Sachen, die mich verführen. Der Gedanke es danach los zu werden in dem der Finger zum Einsatz kommt, ermutigt mich, alles andere außer einem Salat zu kaufen. Mit vollen Händen auf zur Arbeit und die Fress-Orgie kann beginnen. Ich bin am platzen, gehe auf die Waage und auf die Toilette und wieder auf die Waage. 600 g weniger als davor, super. Ich bin voll, ich kann nicht mehr, doch die Hälfte liegt da noch. Ich fresse es in mich hinein und später kotze ich alles wieder raus. Zur Sicherheit nehme ich noch mal eine abführende Pille.
Bis zu Feierabend plagt mich der Durchfall und nach jedem Toilettengang geht es wieder auf die Waage. Auf den Weg nach Hause nehme ich mir vor, nichts mehr zu essen. Doch zu Hause sieht es wieder anders aus. Ich liege im Bett mit leerem Bauch. Nachts knurrt mein Magen und plötzlich stehe ich vor dem Kühlschrank und esse alles was da ist. Und dann klopft wieder der Durchfall an. Die Nacht war wieder Kurz. Und am nächsten Morgen fängt alles von vorne an.
Es ist anstrengend, es macht kaputt und müde. Es macht mich traurig und zieht mich runter. Ich habe Haarausfall, trockene Haut, Zyklusprobleme und vieles mehr. Ich will das nicht mehr!
Ich bin schön! Wundervoll! Ich will lernen dies zu sehen, ich will es erkennen meine Schönheit entdecken.
Wo findest du dich in dieser Geschichte wieder und was nimmst du daraus mit?
Das Aufschreiben und Veröffentlichen deiner eigenen Geschichte hilft dir und anderen!
Schicke mir die Geschichte deiner Essstörung an info@lebenshungrig.de und ich veröffentliche sie hier anonym.
lebenshungrige Grüße
Simone