Kathrins Genesungsweg Teil 17: Nähe zu mir
In der letzten Zeit wurde mir wieder – auch durch Blogeinträge – der Zusammenhang zwischen Veränderung und Loslassen von Essstörungen bewusst. Was im Nachhinein gesund und natürlich aussieht, weil es eine logische Konsequenz der Gesundwerdung ist, stellt sich innerhalb der Störung als teilweise unüberwindbar dar. Auch ich habe, als ich vor der Essstörung kapitulierte, den Wunsch verspürt frei zu sein: Frei von der Essstörung, frei von dem schier aussichtslosen Kampf gegen meinen Körper, frei von Gewichts- und Figurproblemen und frei davon, dass ich ein Problem darstellte, ja ein Problem war in meinen Augen. Ich zweifelte eher an mir, als an allem/allen anderen. Ich wirkte optimistisch und durchsetzungsfähig, in allen mir wichtigen Bereichen war ich jedoch zutiefst unsicher und sehr flexibel für mein Gegenüber. Meine Grenzen konnten übertreten werden und ich bedankte mich teilweise dafür.
Den Wunsch etwas zu verändern verspürte ich jedoch nur sehr untergeordnet. Mir war zwar endlich klar, dass es so nicht mehr weitergehen kann, ich würde mich sonst totfressen, aber als meine Therapeutin in einer der ersten Stunden auf die großen Pfeiler in meinem Leben (Karriere, Uni, Partnerschaft) blickte und ich begriff, dass es einen Zusammenhang geben muss, bohrten sich meine Hände immer tiefer in die pastellfarbene Sessellehne. Ich wollte nichts verlieren – zu groß war meine Angst, dass ich den Verlust bereuen könnte, dass man mich für dumm hält, bei den scheinbar aussichtsreichen Chancen, die mir das Leben da qasi auf dem Silbertablett bot. Ich hing an den Eckpfeilern. Aber je mehr man sich an etwas oder jemanden klammert, umso fester hat uns genau das im Griff.
Ich wusste, dass es so nicht mehr weitergeht und war auch irgendwo bereit „zu tun, was man mir sagt“, denn ich wollte nur noch gesund werden, dass ich aber aktiv etwas dafür hergeben muss, versuchte ich noch eine Weile vor mir herzuschieben, auch weil ich gar nicht wusste, was der wirkliche Ursprung meiner Essstörung war. Innerlich glaubte ich irgendwann an eine Chronifizierung. Der Gedanke war teilweise sogar entlastend, „so lerne ich immerhin mit der Essstörung umzugehen, anstatt gegen sie anzukämpfen“ – eine normale Phase innerhalb des Heilungsprozesses und auch diese ging vorbei.
Es war anstrengende Kleinarbeit nötig um klar und eindeutig zu sehen, an welchen Rädchen ich drehen und etwas verändern kann und noch anstrengendere Arbeit zu merken, woran ich mit aller Energie erfolglos zu arbeiten versuchte. Beides brachte Klarheit, auch noch weit nach der Essstörung.
Heute weiß ich, dass jede meiner damaligen „Chancen“ sicher etwas Positives für mich barg, die Bedingungen zu denen ich diese annahm immer tiefer in eine Selbstverleugnung mündeten. Ich konnte keine Grenzen setzen und hatte nicht gelernt etwas für mich einzufordern und im Zweifel war ich noch nicht bereit, lieber alleine das Richtige zu tun, sondern eher unter vielen in ungesunde Richtungen mitzuschwimmen. Das war auch ein Kern meiner Essstörung. Als ich endlich und im Erwachsenenalter zum ersten Mal wusste, dass ich jetzt etwas machen würde – unabhängig davon, was die Welt, mein privates Umfeld, mein Chef davon halten würden, kam die Gesundheit von ganz alleine, so leise, dass ich erst nach über einer Woche spürte, dass die Essstörung nicht mehr Teil meines Lebens war.
Dieses „Jetzt oder Nie“ war gekommen, als ich bereit war und die notwendige Nähe zu mir selbst endlich hatte gedeihen lassen. Das ist die Art von Veränderung, die die Notwendigste ist, um seinen persönlichen Dreh- und Angelpunkt der Essstörung ausfindig und sie beizeiten überflüssig zu machen: Nähe zu uns selbst.