Die neunundzwanzigste Geschichte (d)einer Essstörung
Eine weitere mutige Frau, die ihre Geschichte offen mit uns teilt:
Magersucht.
Ich hasse dieses Wort.
Es passt nicht zu mir.
Nicht die Sucht, mager, also dünn, zu sein zerstört mein Leben.
Nein, es ist diese unbeschreibliche, unwirkliche und unermesslich riesengroße Angst davor zuzunehmen.
Die Angst davor, zuzunehmen, mir etwas zu gönnen bzw. einfach nur GEBEN, was JEDER MENSCH, JEDER KÖRPER ZUM LEBEN braucht!!
Ja, die Angst beherrscht mein Leben.
Und doch… ich kann es nicht!
Diese Schwäche macht mich traurig, hoffnungslos und nagt an meiner Kraft, dagegen anzukämpfen.
Ein „normales“ Leben zu führen, einfach normal zu sein… die Fähigkeit wieder haben, mir genau das zu geben, was mein Körper braucht, um gesund zu sein, Sport zu treiben, wandern zu gehen, die Berge zu spüren! Ich vermisse es so sehr… ich vermisse es… und dennoch ist diese gottverdammt Besessenheit in mir stärker als die Sehnsucht nach den Bergen.
Ich mag nicht mehr…
Es ist Sonntag, der meist verhasste Tag für mich in der Woche. Warum? Tja, ganz einfach, weil ich dann bei Schlechtwetter (so wie heute) alleine zu Hause sitze und unkontrolliert Essen in mich hineinstopfe bis mir schlecht ist. Wie gerade jetzt… Wenn ich im Nachhinein darüber nachdenke, was ich mir alleine bis jetzt, 13:19 Uhr, an Kalorien zugeführt habe, würde ich mir am liebsten den Finger in den Mund stecken. Diese Gedanken kommen die letzte Zeit immer öfter, da meine Fressattacken in der letzten Zeit enorm zugenommen haben. Ich habe Angst davor, dass ich es irgendwann mache oder ich so viel esse, dass mein Körper von selber das Zeug wieder auswirft, weil es einfach zu viel auf einmal ist. Mir ist schlecht… mir ist zum Kotzen schlecht… irgendwie hoffe ich beinahe, dass mein Körper das von heute gegessene von selber wieder hochkommt… weil ich traue mich nicht, mir den Finger runterzustecken obwohl das Verlangen, alles wieder loszuwerden, so unermesslich groß ist!!!
Ich kann nicht mehr…
Dieser elende Kreislauf, dieses nicht enden wollende wenig-Essen, viel-Essen. Es macht mich fertig. Es macht jeden Tag zur Hölle. Ich weiß, dass mir ein Klinikaufenthalt in Innsbruck wieder gut täte, weil es mich reinigt, meinen Körper, meine Gedanken.
Aber ich habe große, große Angst davor… Tränen der Hoffnungslosigkeit und Angst fließen über mein Gesicht… und mir ist so schlecht… Qualen, unendliche, quälende Gedanken, die in meinem Kopf kreisen… essen, nichts essen, Sport betreiben, um Fressanfall zu kompensieren… Hunger, wenn ich nicht so voll wäre, würde ich noch mehr essen, weil ich immer noch so großen Hunger habe! Mein Körper schreit nach Nahrung, nach gesunder für ihn lebensnotwendiger Nahrung! Und ich kann sie ihm nicht geben… ich platze gleich, mir ist so schlecht…. Ich kann nicht mehr… es ist 13:41 Uhr. Ein weiterer Tag, der zum Kotzen ist und der den Kreislauf immer schneller drehen lässt.
Immer öfter Phasen des wenig-essens, viel-essens.
Immer öfter Tage wie dieser.
Leben….
Oder einfach nur vegetieren… da sein… dahinsiechen
Wo sind meine Anker, die ich mir in der Klinikzeit so mühselig aufgebaut habe? Wohin ist dieses vernünftige Denken, dieses Fähig-sein, halbwegs normale Portionen zu essen und fast wochenlang keine Heißhungerattacken zu haben?
Weil ich es schaffte, regelmäßig und halbwegs vernünftig zu essen…
Ja, ich weiß warum es weg ist… die Angst kam wieder.
Ja, diese Angst davor, zuzunehmen und dadurch schlecht zu sein. Wertlos. SCHWACH, weil ich zunehme und mich nicht im Griff habe, mein Gewicht zu halten bzw. so wie jeder andere Mensch auch abzunehmen…
Ja, genau das ist es… jeder will abnehmen – ich schaffte es. Ich war stolz auf mich.
Aber wer will schon zunehmen???
Keine S… wer zunimmt, ist schwach, hat sich nicht unter Kontrolle… Ich lege euch zwanzig Diätbücher, Zeitschriften, Zeitungen, Broschüren und sonstiges vor die Nase und IN JEDEM steht, dass wer den JOJO-Effekt erlebt und wieder zunimmt, es nicht geschafft hat, schwach war, weil er/sie sich nach der Diät nicht an eine gesunde Ernährung mit Bewegung etc. gehalten hat. Nein, er/sie ist schwach geworden und hat zugenommen.
Und ich soll FREIWILLIG zunehmen??? FREIWILLIG SCHWACH SEIN??? Freiwillig schei…. Sein??? Noch weniger Wert sein? Noch mehr respektlos behandelt werden? Nicht gesehen zu werden?
NEIN, NIE!!!!
Wo findest du dich in dieser Geschichte wieder und was nimmst du daraus mit?
Das Aufschreiben und Veröffentlichen deiner eigenen Geschichte hilft dir und anderen!
Schicke mir die Geschichte deiner Essstörung an info@lebenshungrig.de und ich veröffentliche sie hier anonym.
lebenshungrige Grüße
Simone