Die fünfte Geschichte (d)einer Essstörung

Eine weitere mutige Frau, die ihre Geschichte offen mit uns teilt:

Jammern, mich in meinem – “natürlich absolut gerechtfertigten” – Selbstmitleid suhlen und mein Schicksal verteufeln; ja, DAS kann ich – habe ich wahrscheinlich sogar perfektioniert! Mit anderen Worten: es gibt immer wieder unzählige Gründe, um zum Essen zu greifen. Ich kann ja auch gar nichts anders, wenn sich die Welt immer wieder gegen mich wendet …

Ich mein’ womit habe ich diese Stelle an der 60 Kilometer entfernten Schule, die mich dazu auch noch ausbeutet und Gift für mein geschundenes Ego ist, oder die ständig “wegen Unlust verhinderte DB”, die meine Position an besagter “Traumschule” nicht gerade stärkt, verdient, warum muss ich diese Aufgabe eigentlich auch schon wieder übernehmen ODER noch viel schlimmer; warum kann ich eigentlich nicht einfach mal NEIN sagen?!? Im Allgemeinen scheine ich doch überdurchschnittlich oft diese A….karte zu ziehen und zu allem Überfluss auch noch mit Geldmangel und ständigem Kranksein gesegnet zu sein …

Habe ich mir da das bisschen Ruhe und Zuflucht nicht verdient?! Einfach endlich mal abschalten können, den Gedankenkreisel Kreisel sein lassen? Ganz heimlich, ganz leise..?!

Ganz heimlich, ganz leise und doch so laut und zerstörerisch sind mittlerweile 17 Jahre ins Land gezogen. Ich, 30, notorisch unzufrieden, pleite, gestresst und mit einem Bein am Burnout kratzend, leide seit meinem 13. Lebensjahr an Essstörungen.

Hierbei habe ich wohl die klassische Karriere hingelegt. Nie hässlich oder unbeliebt, aber doch eben eher Typ “ruhiges und vermeintlich unscheinbares Pferdemädchen, erkämpft sich durch Gewichtsverlust die gewünschte Aufmerksamkeit”.  Dass sich der Körper ohnehin in diesem Alter drastisch verändert und die “neu gewonnene Beliebtheit”, insbesondere bei den Jungs, nicht zwangsläufig an den verlorenen Kilos lag, fand damals leider keinerlei Erwägung. Festgebrannt hat sich die ganz simple Formel: je dünner, desto beliebter, sprich mehr wert … klassisch eben!

Ich kann nicht einmal mit einer schlimmen Kindheit/Jugend oder dergleichen dienen; im Gegenteil, ich komme aus einer herzlichen Bilderbuchfamilie. Und trotzdem zog es mich in den Ess-Brech-Wahn. Wie praktisch: essen was ich will, ohne dick zu werden?! Eine Freundin brachte mich darauf – wie schade nur, dass sie dieses Kotzen nicht hinbekam und sofort wieder aufhörte… Ich hatte da leider eher weniger Probleme – im Gegenteil! Lief eigentlich auch alles ganz “gut”, bis meine Cousine mich ertappte. Ich schaffte es jedoch meine darauf hin informierte und entsetzte Mutter zu überreden, es niemandem, auch nicht meinem Vater, zu erzählen. Gemeinsam versuchten wir oder eher sie das “Problem” in den Griff zu bekommen. Auch hier ist meiner Mutter in keinster Weise etwas vorzuwerfen, außer vielleicht zu gutgläubig und ein bisschen blauäugig gewesen zu sein. Nicht umsonst sind wir Bulimikerinnen Meister der Heimlichkeit und des Versteckens … ich hörte leider nie wirklich damit auf, was nicht auffiel, da ich anfangs an Gewicht zulegte. Und erstmal außer Haus, alleine lebend, an der Uni – da gibt’s doch allerlei Erklärungen für Gewichtsverluste und irgendwann ist es einfach das “Standardaussehen” – ist es doch auch, oder?! Selbsttäuschung ist ebenfalls eine großartige Eigenschaft, oder?!

Oder eben nicht … Ich möchte nicht mehr länger diese nach außen starke, selbstbewusste Person, die innerlich ganz klein, tief traurig und – wenn sie ehrlich zu sich ist – einfach KRANK ist, sein. Aber wie? Woher nehme ich die Kraft mich aus dieser 17-jährigen “Beziehung” zu lösen?! Wie fülle ich diese Lücken? – Sicherlich Meditation, gesunde Ernährung, Sport und eine ausgewogene Live-Work-Balance sollen helfen. Das sagen zumindest die Medien und auch die Mädels, die in der Gesprächsgruppentherapie sitzen, für die ich mich in einem motivierten und starken “ich schaffe das – und zwar sofort – von heute auf morgen” – Moment angemeldet habe. Ernüchtert musste ich feststellen, dass die anderen Teilnehmerinnern – alle übrigens tolle und nette Frauen – schon seit Jahren in diese Gruppe kommen, zusätzlich Therapien und dergleichen machen und immer noch kämpfen … so viel zu dem Thema ” und zwar sofort – von heute auf morgen” …

Nichtsdestotrotz und nicht ohne wieder richtig “rückfällig” geworden zu sein, sitze ich nun hier und möchte was ändern!!! Ich habe Angst, bin unsicher und habe keine Ahnung wie man aus diesem sch…. halbleeren ein halbvolles Glas macht, aber ich bin entschlossen! Denn eigentlich könnte ich, 30, mit festem Beamtenjob, tollem Partner, (angeblich) absolut nicht hässlich und tollem sozialen Umfeld, “einfach glücklich und zufrieden” sein

… so ganz ohne Jammern und Selbstmitleid …

Wo findest du dich in dieser Geschichte wieder und was nimmst du daraus mit?

Das Aufschreiben und Veröffentlichen deiner eigenen Geschichte hilft dir und anderen!

Schicke mir die Geschichte deiner Essstörung an info@lebenshungrig.de und ich veröffentliche sie hier anonym. 

lebenshungrige Grüße

Simone