Kathrins Genesungsweg Teil 5: Kündigung
Wie ich in Teil 3 berichtete, entschloss ich mich, nun etwas völlig Neues auszuprobieren und entdeckte in der Therapie meinen wahren Wunsch, der es mir möglich machte, meine Anstellung aufzugeben. Ich habe zur großen Überraschung meiner Verwandtschaft, meiner Vorgesetzten und einiger Bekannter ein paar Monate später gekündigt.
Bereits nach meinem Entschluss, die neue Richtung wenigstens zu probieren spürte ich dass sich die Sucht nach Essen, alle Essstörungen aufgelöst hatten. Es war natürlich viel mehr passiert als nur das. Das Patentrezept lautet demnach nicht: „Kündige deinen sicheren Job und du bist deine Essstörungen los“, oder für andere Beispiele „trenn dich von deinem Freund und du wirst gesund“ „Brich mit deiner Nachbarin, dann endlich wird alles gut“– es kam sehr vieles, was ich zuvor gemachte habe, zum Tragen und dieser Schritt war nur das entscheidende i-Tüpfelchen, nichts weiter.
Noch war ich zu dem Zeitpunkt auch noch nicht zu aller Konsequenz bereit, denn nach der Entdeckung meines Wunsches war ich ja noch angestellt, aber die Essstörungen waren bereits fort. Dass ich gekündigt habe war die nächste logische Konsequenz, denn auf einmal begriff ich was ich definitiv nicht mehr in meinem Leben will.
Zur Auflösung: Das, was ich mir gewünscht habe, hat trotz Kündigung nicht funktioniert. Jetzt fragen mich immer mehr Leute „ja – und, bist du nicht wahnsinnig traurig, fertig und enttäuscht?!?“. Und meine ehrliche Antwort lautet: Enttäuscht war ich sehr, ja – aber fertig fühle ich mich deshalb nicht. Erst einmal glaube ich, dass alles im Leben einen Sinn hat, auch wenn er uns nicht gleich im ersten Moment verständlich ist, ich bin demnach davon überzeugt, dass es für irgendetwas gut ist, dass es nicht funktioniert hat. Und meine früheren Entscheidungen haben ebenfalls für sich zu den damaligen Zeitpunkten absolut Sinn gemacht. Mir wären andere Menschen, Professoren, Seminare, Partner nie begegnet, ich hadere nicht damit. Außerdem – und das ist für mich das Entscheidende – hat mich dieser Wunsch aus meinen Essstörungen rausgeholt. Ich bin durch das konsequente Verfolgen meines dann doch missglückten Plans gesund geworden. Es kam nicht auf das Ergebnis selbst an, dass ich es versucht habe, war wichtig. Ich habe zum ersten Mal im Leben etwas in radikaler Konsequenz ausschließlich für mich getan. Und das war der unumstößliche Lösungspunkt für mich.
Ich hätte definitiv sehr darunter gelitten, hätten mich meine liebsten Menschen vor die Wahl gestellt „der Wunsch, oder ich“ – aber ich hätte mich sehr deutlich für mich entschieden. So klar hatte ich bisher im Leben nicht nach dem Motto gehandelt „Lieber trenne ich mich von anderen, nie von mir selbst“. Es war wahrlich nicht das erste Risiko in meinem Leben, es gab eine Menge guter und geglückter Entscheidungen auch bereits früher in meinem Leben, mit ebenfalls viel Kritik von außen. Aber hier wurde mir deutlich, dass ich es bin, die die absolute Hauptrolle in meinem Leben spielt.
Dass der Traum trotz Kündigung geplatzt ist, war schade, sehr schade meinetwegen, aber ich sehe das Positive darin: Der Wunsch war mein Rettungsanker, das, was mich bewogen hat für mich und meine Überzeugungen einzustehen, das, was mir gezeigt hat, was mir wichtig ist im Leben und wie zutiefst ich davon überzeugt bin, dass wir uns mit unserer Arbeit identifizieren müssen, um glücklich zu sein. Es reicht mir persönlich nicht, mit einem mulmigen Gefühl aufzustehen und nicht zu wissen, wofür ich das Ganze hier eigentlich mache… Das ist mein Leben und so wirklich kalkulierbar ist unsere Zeit auf Erden nun einmal nicht. Das, was wir machen, sollte uns erfüllen, es sollte Energie geben und nicht nehmen. Und wenn das einzige Gute an meiner Arbeit das Gehalt ist, stimmt etwas nicht, sowohl in der Beziehung zu Geld als auch mit meinem Umgang mit Lebenszeit.
Ja, ich kann mir seither weniger leisten und es ist nicht immer einfach, aber ich habe mich zurück und das ist ein riesiges Plus, das sich nicht in Geld aufwiegen lässt. Außerdem ist der Kompensationsdruck geschwunden, ich brauche mich nicht mehr mit Dingen zu belohnen, mir „mal was zu gönnen“, ich gehe sehr viel gezielter nach meinen Bedürfnissen aus und einkaufen, ich brauche keine Frustkäufe mehr. Die Tatsache normal essen zu können, zu essen was man will, aufzuhören, wenn man satt ist unbeschreiblich und für mich jeden Tag ein kleines schönes Wunder. Dafür hat sich auch die schwere Niederlage allemal gelohnt.